Deutschland – 04. Oktober
Man merkt, dass der Herbst nicht mehr fern sein kann. Die Rasenfläche, auf der wir stehen hat einen schwachweißen Schimmer und knistert, wenn man sich darauf bewegt. Es wird Zeit, nach Hause zu fahren. Alles hat einmal ein Ende. Sogar die Jahreszeiten sind nicht unendlich. Tante Paulas linker vorderer Schlappen klackert und rumpelt noch lauter als gestern. Ich habe sehr ungute Gefühle. Weit werden wir heute mit diesem noch undefinierbaren Schaden nicht kommen. Egal, ob ich langsam oder schnell, bergan oder bergab fahre, das unangenehme Schabegeräusch wird zusehends lauter und man muss schon taub und blind sein, um es zu überhören. Nun ist der Habichtswald auch nicht gerade eben und meine Gefühle, wenn ich bergab fahre, sind dunkelgrauschwarz. 53 Kilometer bis ins heimatliche Dorf. Knapp drei Stunden nur im Normalfall. Doch vor dem Dorf Emstal-Balhorn gibt es solche Unwuchtschläge hinter mir, dass ich es vorziehe, den nächsten Schrotthändler oder eventuell auch die nächste Landmaschinenwerkstatt anzufahren.
Wir fragen einen Eingeborenen. Der schickt uns zu einer Renaultwerkstatt nur 300 Meter weiter. Barbara kommt mit Sauermiene aus der Werkstatt und teilt mir mit, der einzige Schlosser, der sich mit Landmaschinen auskennen würde, ist heute nicht im Dienst und der Meister lehnt es ab, unser Bauwagenrad nachzusehen. Boinggg! Das tat weh! Es gäbe aber um die Ecke eine kleine Schlosserei. Da sollten wir mal vorsprechen. Gesagt, getuckert! Der junge, dynamische Inhaber, auch ein Meister seines Faches macht zuerst ein etwas bedenkliches Gesicht, als ich ihn auf eventuell verschlissene Bremsbeläge aufmerksam mache. Es passt nicht so sehr in sein Konzept. Aber er habe Erfahrungen mit landwirtschaftlichen Anhängern und wolle mal nachschauen. Gesagt, geschraubt! Das Rad liegt neben der Achse und die Bremstrommel wird mit Hebelkraft abgezogen. Dahinter verstecken sich die Belege, die zwar fast „runter“ sind, aber noch eine geringfügige Bremswirkung versprechen. Jedoch die beiden Kugellager sind hin. Fast schon zerbröselt, so wie beim anderen Rad im April in Dänemark. Jens, so heißt der agile Mann weiß sich zu helfen. Er misst zuerst die Durchmesser der Lager aus und sieht nach, ob er Ersatz in seinem Lager findet. Das Kleine hat er, aber das Große müssten wir uns beim Renaulthändler nebenan besorgen. Nichts wie nochmals hin. Der Monteur versucht auch sogleich mit einer Presse die alten Lager herauszudrücken. Ohne Erfolg. Dann schleppe ich die Bremstrommel wieder zum Einmannbetrieb rüber. Hier klappt das Ausbauen und das Wiedereinpassen der Lager fast auf Anhieb. Danke! Das war Präzisionsarbeit!!! Nach insgesamt knapp zwei Stunden Aufenthalt in Balhorn ist Tante Paula wieder straßenverkehrstauglich und die letzen geräuscharmen 44 Kilometer sind in nur zwei Stunden geschafft. Wir jagen ohne jegliche störende Geräuschkulisse über „Sand“, „Merxhausen“, „Ehlen“, „Zierenberg“ und „Ober- und Niedermeiser“ unserer ehemaligen Kreisstadt Hofgeismar an der Deutschen Märchenstraße entgegen. Barbara lässt sich aus ihrer Handtasche die Sonnenbrille und eine Großpackung Papiertaschentücher zureichen. Sie hat schon jetzt feuchte Augen, wenn sie an unsere beiden Kinder und an alle anderen lieben Menschen denkt, die wir heute noch sehen werden. Ich kann sie nicht damit trösten, indem ich ihr zurufe, dass wir alle doch erst am 3. April, unserem Abreisetag gesehen haben. Sie ist direkt etwas grantig und verbietet mir jede weitere Wortmeldung in dieser Richtung.

Aber auch ich muss schlucken, als wir an unserem Betriebsgebäude in der Innenstadt vorbeirauschen und am Tor die Schriftengirlande „Herzlich Willkommen“ und die angebundenen Luftballons erkennen. Sohn und Tochter und ein Mitarbeiter stehen am Gehsteig und winken uns heftig zu. Noch 5 Kilometer. Das Ortsschild „Carlsdorf“ kommt in Sicht. Wir fallen im vierten Gang mit allen Tierstimmen, die unser Gerät hergibt in unser schönes Hugenottendörflein am Rande des Reinhardswaldes ein. Vor unserem Haus stehen Gott sei Dank keine weiteren Fahrzeuge, so dass ich direkt vor der Haustür parken kann. Die Kinder und Schwiegerkinder sind uns nachgefahren und begrüßen uns erst einmal. Es ist halb Drei. Dann erzählen wir und erzählen und erzählen und sitzen gemütlich am runden Tisch in unserem Esszimmer zusammen. Danach koppelt Mario, unser Sohn den Bauwagen vom Hänger, um ihn per Hand und Muskelkraft noch näher an den Zaun zu schieben. Doch oh Schreck! Die Auflaufbremse hält den Hänger nicht auf der leicht abschüssigen Straße, obwohl Mario die Zuggabel sofort wieder fallen lässt. Da wir sowieso in die Werkstatt müssen, um neue Bremsbeläge aufbringen zu lassen, muss die Bremse gleich mit begutachtet werden. Auch unsere Nachbarn freuen sich, die „Ochsens“ unbeschadet wiederzusehen. Alle Familienmitglieder packen mit an und entkernen den Bauwagen. Kleidung eines halben Jahres und Lebensmittel und tausenderlei Krimskrams, der sich auf unserem Ausflug angesammelt hat füllen im Nu alle Räume unseres Hauses. Es sieht wild aus. Kein Stuhl, Tisch oder Sessel wird verschont. Ein Stammtischbruder besucht uns mit Frau und Tochter, um unter den Ersten zu sein, die uns Willkommen heißen. Später am Abend kommt noch unser Enkelsohn, unsere ehemalige Pflegetochter Yvonne und mein Schwager Wolfgang dazu.

Nun sitzen wir zu Neunt am runden Tisch und lassen uns das erste Abendbrot in der Heimat wieder schmecken. Es tut gut, wieder Zuhause zu sein! Doch ich könnte mir sehr gut vorstellen, von meinem derzeitigen desolaten Gesundheitszustand einmal abgesehen, Morgen schon wieder auf eine Reise zu gehen. Zu sehr habe ich mich an das Vagabundenleben in den vergangenen sechs Monaten gewöhnt. Ob uns unsere beiden Landschildkröten, die Silberfischchen im Baderaum und die unzähligen Maulwürfe in unserem Garten noch erkennen? Es wird sich zeigen und ich werde noch ein paar Tage über unsere „Nachreisezeit“ im Blog berichten.
An dieser Stelle einmal wieder ein ganz, ganz herzliches DANKE allen unseren Mitfieberern und virtuellen Reisebegleitern und Fans aus 19 Ländern Europas, aus Übersee und aus deutschen Landen. Ihr habt uns immer wieder Mut gemacht und uns angespornt und bestärkt, nicht locker zu lassen und die Reise trotz aller vorgekommenen Widrigkeiten fortzusetzen. Und ihr habt mir durch eure guten Wünsche zu meiner Genesung d i e Kraft und Stärke gegeben durchzuhalten, wenngleich ich auch an manchen Tagen an meine körperlichen Grenzen gestoßen bin. Ein Resümee dieser unserer Europatour werde ich an anderer Stelle abgeben. Zur Zeit brauche(n) ich (wir) erst einmal etwas Ruhe, um neue Kraft für die kommende Zeit zu tanken. Und das… kann man am besten Zuhause.
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