Deutschland – 19. September

Heute soll mein großer Tag sein. Meine Stimmung liegt in Trümmern, da der OP-Termin aus unterschiedlichen Gründen schon dreimal verschoben werden musste. Mein junger Mitleidensgenosse darf nach Hause gehen. Er freut sich. Ich würde mich auch freuen. Doch ich muss mich weiter gedulden. Nun bin ich im Viererzimmer ganz allein. Wie der Stationsarzt heute früh bei der Kurzvisite mir mitgeteilt hat, komme ich so gegen 11 Uhr dran. Ich bekomme mein rechtes Bein neu gewickelt, nachdem ich geduscht habe. Dann lege ich mich wieder zu Bett und döse hungrig vor mich hin. Zwischendurch werden die drei jetzt leerstehenden Betten frisch bezogen und das Zimmer aufgewischt. Alle Mitarbeiterinnen sind sehr freundlich, egal in welcher Funktion sie unterwegs sind und ich führe gute, sinnvolle Gespräche. Na, eher Smalltalk.

Teil der Innenstadt
Teil der Innenstadt

Nebenbei lese ich, dass eine Großschreinerei inzwischen 5000 massive Tannenholzbänke für die ersten 100000 Pilger gezimmert hat, die auf dem Feld des Freiburger Flugplatzes aufgestellt werden, die nach dem Open-Air- Gottesdienst für 490 Euro erworben werden können. Ich bin am Überlegen, wie ich eine dieser monströsen Bänke in unserem Bauwagen postieren könnte. Ob sie in Kreuzform gezimmert worden sind? Oder in Oblatenform? Wir sind Papst! Klopf auf Holz!

Das berühmte "Freiburger Wässerle" durchzieht die Innenstadt
Das berühmte "Freiburger Wässerle" durchzieht die Innenstadt

Um 12 werde ich wach. Ich bin tatsächlich eingeschlafen. Der Magen meldet sich und das Durstgefühl steigt an. Doch ich will geduldig bleiben. Ich schlummere wieder eine Weile. Dann kommt ein Arzt herein und legt mir einen frischen venösen Zugang. Es geht auf Ein Uhr zu. Jetzt bin ich aber sehr nervös und bitte den Mediziner, einmal nachzufragen, was mit dem OP-Team los ist und wann ich nun endlich dran komme. Gegen 14 Uhr überbringt mir eine Krankenschwester eine Nachricht, die sehr schlecht verdaulich ist. Sie sagt, auch heute wäre das über eine Million teure Trümmergerät noch in technischer Bearbeitung und ich könne wieder nicht operiert werden. Ich bin am Boden zerstört. Da tröstet es mich wenig, dass mir das Mittagessen aufgewärmt um halb Drei hereingebracht wird. Ich erlebe alles wie in einem Gruselfilm und habe keinen Appetit. Nur die Servicemitarbeiterin, die sich etwas Zeit für mich nimmt, kann meine Stimmung etwas aufhellen. Es gibt in der Klinik seit einigen Jahren zur Entlastung der Pflegemitarbeiter besonders ausgebildete Servicemitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die ausschließlich zu dem Zweck bei Vollzeitbeschäftigung dazu da sind, sich um das leibliche Wohl der Kranken zu kümmern. Die meisten kommen aus der Gastronomiebranche und sind versiert im Umgang mit Menschen und mit Dienstleistungen. Wir hier oben haben Glück mit unserer Servicedame. Sie ist ausgesprochen höflich und zuvorkommend und man merkt ihr an, dass ihr der Job Spaß macht. Von montags bis freitags serviert sie morgens, mittags und zum Kaffee Speisen und Getränke und Sonderwünsche werden auch berücksichtigt. Ein Pilotprojekt der Klinikleitung, das sich sicher schon bezahlt gemacht hat. Die junge Dame trägt schwarze Hosen, schwarze, flache Schuhe, eine weiße Bluse und ein schwarzes kurzes Jäckchen. Fast möchte man sagen es ist eine Uniform, wie man sie von den Bediensteten im Speisewagen eines ICE her kennt. Soweit wird gut für die Patienten gesorgt. Auch kann man sich anmelden zum Frühstücks- oder Abendbuffet, welches man in einem anderen Stockwerk mit Leidensgenossen und –Genossinnen genießen kann. Ich dürfte eigentlich nicht klagen. Und doch bin ich missmutig geworden, was sicher einige Leser gut nachvollziehen können. 

Um Drei besucht mich der Oberarzt, ein erfahrener Chirurg der Urologie. Er setzt sich und berichtet, das OP-Team habe sich etwas ausgedacht, um mir trotz technischer Tücken helfen zu können. Am Dienstagmittag soll ich nun doch eine herkömmliche URS bekommen. Das heißt, es gibt eine schonende Vollnarkose in einer gemäßigten Steinschnittlage während der OP, wo weitestgehend ausgeschlossen werden kann, dass sich ein weiterer Thrombus im Bein abspalten und wieder in die zuführenden Gefäße der Lunge wandern kann. Der Nierenstein wird also direkt von innen vor Ort mit Spezialwerkzeugen, einer Art Kneifzange zerdrückt und zerbröselt. Das war ja schon einmal vor acht Tagen vorgesehen, nur die frische Lungenembolie hat diese Vorgehensweise verhindert. Nun habe ich wieder Hoffnung und muss mich der Kunst der Ärzte anvertrauen. Die Technik soll mir gestohlen bleiben. Barbara meint am Telefon ich mache Scherze, als ich ihr von dem verpassten Eingriff erzähle. Sie besucht mich erst am späten Nachmittag und wir trinken in der Cafeteria einen starken Bohnenkaffee. Den habe ich heute besonders nötig. Ich blicke Morgen ins Ungewisse und hoffe, dass, wenn ich wieder aufwachen sollte, der Stein zum Teufel gejagt wurde. Drückt mir bitte alle die Daumen!!!

 

3 Kommentare zu „Deutschland – 19. September“

  1. halli-hallo….das ganze geht natürlich ganz schön an die nerven..aber den kopf nicht in den sand stecken….weil das knircht auch zwischen den zähnen ;-)…guten verlauf und gute besserung
    gruß wolfgang müller

  2. Ich drücke, drücke, drücke gaaanz feste…..ich hab grad Urlaub und kann sozusagen dauerdrücken…*smile*

    Ganz lieben Gruß und die besten Wünsche, dass es heute endlich klappt mit der OP!

    Anschi

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