Schweden – 05.05.11

5. Mai

Es ist Donnerstag Punkt Neun und wir zischen ab. Die sechs Beine unseres Wagens sind ja schnell hochgeschoben und eingehängt und die zweistufige Treppe wird nur mit Ketten und Schlössern verriegelt. Das Wetter ist heute gar nicht dazu angetan, zu verreisen. Auf unserem Balkongeländer bleiben die Schneeflocken minutenlang liegen und während der nächsten drei Stunden hat der Scheibenwischer ordentlich zu tun. Stetig steigt es bergauf. Schweden ist fürwahr ein sehr gebirgiges Land. Die Birken und Kiefern, die wir so oft in Mittelschweden gesehen haben, machen überraschenderweise Nordmanntannen und dünnen Fichten Platz. Die wenigen Birken haben so dünne Stämmchen, dass sie aussehen wie Strohhalme. Felsblöcke und regelrechte Felsenmeere reihen sich eng aneinander und wo immer man hinblickt, fließt Wasser. Mal ist es klar, mal rot, mal dunkelbraun gefärbt je nach Bodenbeschaffenheit. 

Heute trage ich meine Haare mal "offen"
Heute trage ich meine Haare mal "offen"
Der Junge mit seinem alten Hanomag in der Nähe von "MOSKOSEL"
Der Junge mit seinem alten Hanomag in der Nähe von "MOSKOSEL"

Es geht über hohe Brücken über die Flüsse „Skeleftenälf“ und „Svarälven“ knapp 100 Kilometer nach „Arvidsjaur.“ Wir sind erstaunt über das rege Leben in der 6500 Einwohner zählenden Stadt. In den Stunden davor sind uns lediglich zwei kleine Rentierherden begegnet, die im Zeitlupentempo die Straßenseiten wechselten. Kühe sind unwesentlich schneller als diese weißbraun gefärbten, gemütlich staksenden Tiere. Ob Rudolf das kleine Rentier auch dabei war wissen wir nicht so genau, aber eine große Ähnlichkeit besteht schon bei diesem oder jenem Bullen. Meine Nase erinnert urplötzlich Barbara daran, dass ich eventuell entfernt verwandt sein könnte mit Rudolf. Ich überhöre diese Bemerkung geflissentlich. Es gäbe weitaus bessere Vergleiche. 

In der sehr sehenswerten Stadt „Arvidsjaur“ kaufen wir erst neue frische Lebensmittel ein. Es soll heute Abend Spaghetti und Hackfleischsauce geben. Im Touristenbüro werden wir mit vielen Prospekten eingedeckt. Auch der zehnte Aufkleber wird erstanden. Der Trecker hat ja noch so viel Platz. Wir aber wollen noch ein Stück weiter nach Norden fahren. 100 Kilometer am Tag…pah, was ist das schon für uns Fahrensleute. 

Im Dorf „Moskosel“ neben der Europastraße frage ich einen Jungen, der gerade auf dem Dorfplatz mit seinem Hanomag-Pickup-Auto angebrettert kommt, wo es zum nächsten Campingplatz geht. In unseren Reiseführern wäre erst in „Jokkmokk“, etwa 140 km weiter der nächste. Viiiel zu weit! Ich wundere mich über das Alter des Jungen, der etwa sechzehn Jahre alt sein dürfte und besonders über seinen Oldtimer aus Deutschland. Er stammt aus den 50er Jahren und er hat ihn mit zwei leuchtendroten Rallyesitzen aufgepeppt. Mit Stolz lässt er sich vor dem Kühlergrill stehend von mir ablichten. Drei Kilometer wären es nur bis zum Platz, sagt er. Wir finden den kleinen Platz auf Anhieb. Aber er ist noch geschlossen. „Stängt“, wie die Schweden zu „geschlossen“ sagen.

Einer von ca. 50 Seen, an denen wir jeden Tag entlang fahren
Einer von ca. 50 Seen, an denen wir jeden Tag entlang fahren

Barbara will trotzdem bleiben. Ich bin fürs Weiterfahren. Ein kleiner Streit beginnt. Sie verhält sich einfach „läppisch.“ Wir sind ja auch in Lappland. Ich bleibe an der nächsten Ecke einfach stehen und warte, bis sich die dunklen Wolken verzogen haben. Das dauert nicht lange. 99 Kilometer vor Jokkmokk, der ehemaligen Lappensiedlung, so wies es das Hinweisschild soeben aus, sehen wir mitten in der Wildnis einen Rastplatz für Trucker einsam und verlassen vor. Ich fahre in großem Bogen an den Rand und sehe Barbara fragend an.  „Fahr doch!“ ruft sie und wir halten auf einer der auf dem Teer vorgezeichneten Flächen. Der letzte Ort liegt 15 km hinter uns, der nächste 31 km vor uns. Der Rastplatz erweist sich als idealer Platz für gestrandete Treckerreisende.

Direkt an dem etwa 150 Meter breiten Fluss „Piteälven“ gelegen gibt es zu unserem Erstaunen auch ein Wasch-und Toilettenhaus, einen Grillplatz, Tische und Bänke und eine Informationstafel in vier Sprachen. Beide Toiletten sind offen und…sogar beheizt und beleuchtet und…sehr, sehr sauber. Nur das Wasser aus dem Hahn kommt kalt heraus. Eine weitere Toilette ist speziell für Behinderte ausgelegt. Eine Aluminiumrampe führt zur Tür, die sich auf Knopfdruck öffnet und wenn man drin ist, sich wieder automatisch schließt. Eine Behindertentoilette für Trucker?? Schweden eben! Erstaunlich, so mitten in der lappländischen Wildnis! Wir beschließen, mal wieder „kostenneutral“ zu campieren. No risk, no fun! Es wird uns schon niemand hier den Garaus machen. Ein paar Langholz beladene LKWS halten kurz an, die Männer gehen ihren Bedürfnissen nach und fahren wieder ab. Spät in der Nacht bleibt ein finnischer LKW vor uns stehen. Der Motor läuft gut zwei Stunden weiter. Der Fahrer hält ein Nickerchen, lässt sich aber nicht blicken.

Barbara kocht die Nudeln auf Gasflamme. Ein köstliches „Abendmahl“, besonders weil es im Bauwagen nur sieben Grad warm ist. Hoffentlich werden wir über Nacht nicht eingeschneit. 

Wir drehen eine Runde zur Brücke und machen einige schöne Fotos von dem mit Felsbrocken überzogenen Flussufer. Morgen haben wir weniger als 100 Kilometer zu fahren. Ich freue mich schon auf einen warmen Bauwagen auf dem Platz in der Lappenstadt  Jokkmokk. Wir wollen uns Morgen das Städtchen länger ansehen  und auch Wäschewaschen müssten wir mal wieder. Wir gehen sehr früh zu Bett. Zu kalt, um die Zeit abzusitzen. Die drei Kerzen werfen einen warmen Schein auf meine klammen Finger beim Eintippen der Reiseberichte.

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