Frankreich – 10.08.11

10. August 

Mich laust der Affe! Wir sind schon fast in Südfrankreich und was soll ich sagen? Es ist schon morgens um Sieben brütend heiß. Schön wär’s! Ich flitze mit nacktem Oberkörper die 150 Meter zum Sanitärgebäude bei gerade mal 11 Grad. Im Bett war es wärmer. Die Butter, die ich 3 Minuten vor dem Frühstücken aus dem ebenso 11 Grad kalten Kühlschrank hole, föne ich streichfähig auf, nachdem ich mir meine Mähne mit 1000 Watt getrocknet habe und Barbara mir kunstvoll meinen „Europa-Pferdeschwanz“ in Form gebracht hat. Das ist jeden Tag ein besonderes Ritual und ich lasse mich diesbezüglich gerne von ihr verwöhnen. Unser heutiges Tagesziel ist unklar.

Tolle Sicht auf die wunderschönen Täler
Tolle Sicht auf die wunderschönen Täler
sehr schöne Wolkengebilde  begleiten uns
sehr schöne Wolkengebilde begleiten uns

Nach Süden, etwa so 70-90 km. Da haben wir uns aber wieder mal eine tolle Streckenführung ausgesucht. Direkt vom Campingplatz weg geht es mit kaltem Motor über 20 Minuten eine Anhöhe hinauf, vor deren Steigung Warnschilder auf 9% aufmerksam machen. Und ein Hinweis, dass die Straße nur 6 Meter breit sei und LKWS die Passage verwehrt ist. Wir haben keinen LKW und sind auch nur knapp 2,50 Meter breit. Da bleiben immer noch 3,50 Meter für den Gegenverkehr. Das sollte reichen. Das liest sich vielleicht lustig, ist es aber nicht. Meine Urangst ist, dass sich der Hänger mal durch die enormen Zugkräfte bergan lösen könnte und einen Abhang hinunter stürzt. Das habe ich schon mehrmals geträumt. Hoffentlich passiert das nie!!! Wir kommen dann schon bald auf die N 88, die Schnellstraße, die wir aber befahren dürfen als Langsamfahrer.

Zumindest hält uns kein Verkehrsschild davon ab. Irgendwas mit dem Hinweis „Sauf -blahbalahblah“ sehen wir nicht. Und wenn doch, verstehen wir es nicht. Wir sind immerhin Ausländer. Das sollte man uns, wenn es zum Tragen käme, bitteschön zu Gute halten. Barbara bibbert schon wieder vor den nächsten Bergen, die ich leider nicht wegwischen kann. Die Sonne scheint, ich habe Reiselust und meine Frau sitzt angsterfüllt und zusammengekrochen auf ihren Notsitz vor mir. Manchmal lege ich beruhigend meine linke Hand auf ihre Schulter. Das will sie aber auch nicht und wehrt meine gutgemeinten Annäherungsversuche vehement ab. Was soll ich also tun? Weiterfahren natürlich und ein Liedchen wie etwa „Im Frühtau zu Berge“ trällern. Das gefällt ihr auch nicht. Ich solle besser schweigen. So schweige ich und gebe Gas mit dem rechten Fuß. Das Handgas hat heute wieder Ruhetag. Zu viele Kurven, Gefälle und Steigungen. Wir durchfahren ein wunderschön gelegenes Bergdorf namens „ Les Baraques.“ Baracken sehen wir aber nicht. Nur hohe Steinhäuser mit schrägen, kurzen Höfen und Kühe, die dunkelbraun sind und auf den Magerrasen, zwischen dem der Ginster wächst, das dürre Gras abweiden. Wir haben zu vermeiden versucht, dass wir durch die Stadt am Berg „ Le Puy en Velay“ fahren müssen, doch es geht wohl nicht anders. Und schon sehen wir die Silhouette der Stadt über uns, nein, unter uns, nein, vor uns. Ach die dicke Seekuh! Das wird was werden.

Die Friedhöfe unterscheiden sich von denen in Polen gewaltig
Die Friedhöfe unterscheiden sich von denen in Polen gewaltig

Es geht zuerst steil in die Stadt bergab. Zwei riesengroße Monumente, meterhohe Figuren und ein Chateau, das auf einem spitzen Felsstachel unglaublich hoch oben angesiedelt ist, wo garantiert der geübteste Bergsteiger seine Mühe hätte, die senkrecht fallenden Felswände unterhalb des Schlosses hinauf zu kraxeln sind ein Foto wert. Barbara quietscht laut. Nicht vor Freude über so viel Schönes, sondern weil es ganz unten im engen Stadtkern wieder wie erwartet nach oben geht. In „Le Puy en Velay“ haben noch vor einigen Jahren über 30000 Arbeiter des Konzerns Michelin Arbeit gefunden. Heute ist nur noch die Hälfte mit der Herstellung von Reifen beschäftigt. Die Schlange hinter uns ist nicht mehr zählbar, als wir mit 7 km/h fast 50 Minuten über 10% Steigung bergan schnaufen. Ich bin höchst angespannt und beobachte genau den Verkehr hinter uns. Jede auch so winzige Lücke wird genommen, um uns trotz regem Gegenverkehr zu überholen.

Wohin des Weges, müder Wanderer?
Wohin des Weges, müder Wanderer?

Viele Franzosen hupen und winken uns beim Überholvorgang freundlich zu. Das muss ich anerkennen. Franzosen haben Geduld. In anderen Ländern war es aber ähnlich. Vielleicht haben sie Mitleid mit uns und denken, wir könnten uns kein schnelleres Fahrzeug leisten. Einmal zähle ich auf einer längeren geraden Streche 78 Autos und Lastwagen, die uns z.T. halsbrecherisch überholen. Tja, wir lassen den Stau hinter uns und bleiben cool. Dann rauscht ein sehr betagter Wagen von Citroen, ein „Ami 8“ an uns vorbei. Ein sehr seltenes Exemplar. Vor Vor 35 Jahren war einmal für kurze Zeit der „Ami 6“ mein Favorit, der Vorgänger des „Ami 8, der eine nach innen geneigte Heckscheibe hatte und natürlich die typische Citroenfederung, die ich in meinen Enten jahrelang genießen durfte. Ab „Pradelles“ geht es nur noch die Hügel hinauf und hinunter. Der vierte Gang schläft. Der Fünfte dagegen wird ausgereizt. Um Ein Uhr machen wir Rast an einem ausgebauten, ansprechenden Parkplatz. Sofort kommen die übrigen „Cola-Fanta-Pinkel-Pause-Bedürftigen hinzu und das Fotografieren nimmt kein Ende.

 

Bummel durch "Chateau-Neuf-de-Randon"
Bummel durch "Chateau-Neuf-de-Randon"

Mal mit dem Filou, mal mit der ganzen Familie muss ich auf’s Bild. Barbara verschwindet dann immer in der Versenkung, denn sie mag solchen „Rummel“ nicht. Wir überqueren den Fluss „Allier“, der tief unten im grünen, felsbedeckten Tal dahin rauscht. Wie ich nachlese, befinden wir uns mitten in der „Margeride“, einem Mittelgebirge mit abgerundetem Relief, weiten Wiesen- und Weidenlandschaften, wilden Flüssen und Bächen und tiefen Wäldern. Granitblöcke stehen wie bizarre Herden in der Landschaft. Erst später lese ich, dass wir durch die Schluchten des „Tarn,“ der „Jonte“ und durch das Tal des „Lot“ getuckert sind. Der Gesamtpack nennt sich „die Cevennen.“ Auf den Straßen geht es heftig zu. Ein Kopf an Kopfrennen der Brummis lässt mich ständig zusammenzucken, wenn die Fahrer vor uns zu kurz einscheren. Es reicht uns! Den nächsten Campingplatz nehmen wir, egal, wie er aussieht und wie teuer er ist. Wir erblicken eine Festung hoch oben auf dem Gipfel eines schmalen Berggrates und eine kleine Ansiedlung von Häusern, die eng an die Felswände angelehnt sind. Der Ort nennt sich „Chateauneuf de Randon“, liegt 1254 Meter hoch und ist vielleicht nur mit einer Seilbahn zu erreichen. Kurz hinter dem Ort das erlösende Schild „Camping.“ Also hinunter ins Tal. Bei dem Weiler „L’ Habitarelle“ geht es über ein Brückchen über einen Minibach rechts rein. Und schon liegt ein naturbelassener, kleiner Campingplatz vor uns, der nicht parzelliert ist. Eine große nicht gemähte Bergwiese dient mit dem schmucklosen Sanitärgebäude und der winzigen Rezeption als Urlaubsdomizil. Solche Plätze lieben wir. So stellen wir uns dahin, wo noch frei ist. Und es gibt noch viele Freistellen. Wir lesen, dass die Anmeldung erst ab 18 Uhr geöffnet ist. Und nun kommen Heerscharen von Mitcampern, die uns bestaunen, die Landkarte auf der Bauwagenseite betrachten, heftig diskutieren, fotografieren, palavern und uns tausend Fragen stellen. In der Landessprache. In der Zeit, wo ich mich mit Worten abplage, lässt Barbara die Stützen herunter und räumt die Gartenmöbel heraus. Ein junger Franzose mit Englischkenntnissen kommt mir zu Hilfe und übersetzt meine Versuche, den etwa 20 Franzosen, die um mich herumstehen, meine Rede zu erklären.

Die beindruckende Kirche von "Chateau-de-Neuf-de Randon"
Die beindruckende Kirche von "Chateau-de-Neuf-de Randon"

Dann eine Überraschung. Derselbe junge Franzose bringt uns einen Becher mit selbstproduziertem Dessert mit Waldfrüchten, Milch und gekochtem Reis. Zur Begrüßung, meint er trocken und er freut sich über die Prospekte, die ich ihm überreiche. Wenig später sehe ich einen anderen Camper mit einem kleinen Kescher und einem Marmeladenglas vom nahen Bach kommen. Im Glas schwimmen ein paar Fischchen. Ich frage ihn, was er damit anfangen will. Na, essen natürlich, meint er. Ich besehe mir die Fischchen näher. Es sind dreistachelige Weißfische aus der Gattung der Stichlinge. Er will sie frittieren. Ob ich auch davon kosten will? „Non, non, Monsieur!“ gebe ich ihm zu verstehen. Und mein Magen dreht sich um. Stichlinge im Ölmantel, nee, das geht wirklich nicht. „Merci, Monsieur!“ Ich habe heute schon zu Abend gegessen und mich das letzte Mal vor zig Jahren übergeben. Franzosen machen aber auch vor nichts Halt. Dann hängen wir den Traktor ab und hampeln uns den Steilhang hoch zur Festung.

Besonders interessant ist dort der große Dorfplatz mit den buckligen Pflastersteinen. Auf dem Marktplatz befindet sich die monumentale Bronzestatue von „Du Guesclin“, ein Heerführer im Hundertjährigen Krieg, der 1380 in „Chateauneuf“ gestorben ist. Das Denkmal ist leicht verwittert, sieht aber imposant aus. Ist ja auch schon einige Wochen her, wo der Gute verblichen ist. Die Kirche, die wir besichtigen ist schlicht eingerichtet und mit ganz wenigen Mosaikglasfenstern bestückt. Aber es ist sehr schön kühl im Inneren. Danach gehen wir noch ein wenig durch die alten, steilen Gassen und in die Touristeninformation. Nebenan gibt es ein Delikatessengeschäft, wo ich mir frischen Ziegenkäse kaufe und Barbara eine Art Wurst, so dünn wie ein Finger und mit weißer Haut umzogen. Unser Trecker duftet nach dem Einkauf wie auf einem Käsemarkt. Dazu noch der Duft eines runden Laibes Brot, den wir in der kleinen Bäckerei erstanden haben. Endlich mal kein Baguette. Das ist unser Tageshighlight neben dem Ziegenkäse natürlich, den Barbara einfach „Bäh“ findet. Am Abend zahlen wir unseren Platz mit nur 10 Euro. Auch das Wäschewaschen kostet nur 3 Euro. Nur einen Trockner gibt es nicht und wir hoffen, dass, wenn es trocken bleibt, unsere letzten Socken Morgen wieder anziehbar sind. Es waren heute nur 20 Grad in der Sonne, doch auf den Bergen hat die Gute eine ganz andere Strahlkraft und meine Stirn brennt, obwohl ich immer eine Mütze trage. Noch zwei lange Tage wollen oder besser müssen wir durch die französischen Berge tuckern, bevor wir wie geplant einmal für ganze drei Tage irgendwo, wo es uns gefällt, bleiben werden. Im deutschen Fernsehen sehen wir, dass das Wetter saumäßig sein soll mit viel Regen und Stürmen. Das sieht ganz nach einem total verregneten Sommer aus, nicht nur in Deutschland. Das Mittelmeer ist nur noch 200 Kilometer weit und die französischen Nachrichten versprechen in den kommenden Tagen über 30 Grad. Hoffen wir es! 

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