12. August
Wir befinden uns schon den vierten Tag im französischen Landesteil „Languedoc Roussillon.“ Davor haben wir mal für ein paar Stunden den Landesteil „Midi-Pyrenees“ gestreift.
Ein großer Abschied steht an. Finn, der kleine, pfiffige Engländer von nebenan will auf meinen Arm genommen werden und drückt mich ganz herzig, da er weiß, dass wir gleich abfahren. Ich mache ihm noch eine große Freude, indem ich ihn auf den Treckersitz hieve und da darf er nach Herzenslust alle Knöpfe ziehen. Sehr erstaunt ist er aber, als ich die fünf Tierstimmen nacheinander anstelle, die aus dem Außenlautsprecher schallen. Er kann gar nicht genug davon bekommen und zählt die Tiere in Englisch auf: „Cow, Horse, Henn, Kat, Dog.“ Das ruft natürlich alle übrigen Camper auf den Plan, die entweder schon wach waren oder spätestens jetzt geweckt wurden. Wir verabschieden uns mit Handschlag von der netten englischen Familie und von Jean-Marc und sehen im Vorbeituckern auf dem Weg auf die Hauptsraße alle Nachbarn mit einer Kamera bewaffnet stehen und uns zuwinken. Nach einer halben Stunde sind wir wieder im Ort „Le Massegros“, wo wir gestern Nachmittag abgebogen sind und lassen uns nun vom Navi weiterleiten.
Unser Zielort heißt St. Affrique“ und liegt 70 km weiter im Süden, aber auch mitten im Hochgebirge des Tarn. Alles Seufzen nützt nichts. Wir starten durch und ergeben uns. Zuerst geht ja alles gut, solange wir auf der D 907 bleiben. Irgendwo bei „Sevelac Le Chateau“ geht’s auf die D 35 nach „Millau.“ Man spricht aber „miau“.
Das Flüsschen „Tarn“ überqueren wir auch noch. Eine größere Stadt, die alles hat außer ebene Straßen. Zuvor aber erleben wir unsere Krönung dieses Fahrtages. Nachdem es stetig bergauf ging kommt nun ein Gefälle über eine Distanz von 11 Kilometern mit satten 9%. Ganz zu Anfang kann ich das Gespann noch im fünften Gang in der Spur halten, wenn ich alle 10 Sekunden einmal fest auf die Fußbremse trete. Dann aber fangen die Bremsbacken zu stinken an und es qualmt mal wieder aus allen Ritzen und dringt unangenehm in die Kabine.
Also mit viel Zwischengas und doppelt kuppeln den vierten Gang einrasten lassen, der klackend und schnarrend einpupt. Man stelle sich vor, man schleicht mit 15 km/h und trotzdem betätigter Fußbremse über 50 Minuten einen Berghang hinunter, der einfach nicht enden will. Überall die Warnschilder, auch in Deutsch mit dem Hinweis „Notfallspur 500 Meter.“ Das Kühlwasser sinkt auf unter 60 Grad, da der Trecker ja nicht ziehen muss, aber ich sitze mit größter Anspannung auf meinem Sitz und zähle die Spitzkehren, nur um mich etwas abzulenken. Es sind ungefähr 25.
Das Verkehrsaufkommen ist gering und Barbara lenkt sich mit Fotografieren ab oder flucht ab und zu wie ein Bürstenbinder. Durchgeschwitzt und endlich unten nach tausend Flüchen heil angekommen, legen wir unsere Mittagsrast ein und lassen auch den Motor und die Bremsen abkühlen. Es gibt leckeren Ziegen-Brie auf dem Mischbrot und einen Saft aus der kleinen Trinkflasche. Überall aus den engen Ritzen im Felsgestein wieseln kleine, hübsche Eidechsen um uns herum. Zikaden zirpen überlaut ihr monotones Lied und die Sonne brennt fürchterlich vom Himmel. 29 Grad sind es gegen 12 Uhr schon und wir frühstücken im Stehen auf der Schattenseite des Bauwagens neben einem kleineren Felsvorsprung.
Dann sehen wir die Stadt „Millau“ vor uns. Weit hinter der Stadt im weiten Tal im Westen spannt sich die jüngste Attraktion Millaus über die Tiefebene. Im eleganten Schwung überwindet hier die 2,4 km lange und 360 Meter hohe Autobahnbrücke von Stararchitekt „Norman Foster“ einst erbaut das grüne Tal. 39 Meter höher als der Eifelturm ist dieses Monumentalviadukt. Das stählerne Wunderwerk schließt die Autobahnlücke zwischen dem südlichen Zentralmassiv und dem Mittelmeer. Es ist das höchste Brückenbauwek weltweit. Und wir dürfen es sehen. Toll! Wie auf riesigen Stelzen gebaut erscheint das brückenbautechnische Wunderwerk wie ein gigantischer Krake, der mit seinen Tentakeln die Autobahn am Einstürzen hindert. Eine halbe Stunde später, nach der schwierigen Stadtdurchfahrt mit wahnsinnig dichtem Verkehr steigt die Straße am Stadtausgang wieder auf 8% an und wir ziehen eine Megaschlange hinter uns her, da hier Überholverbot herrscht. Einige Franzosen scheinen schlecht gelaunt an diesem Freitag und hupen mehrmals, wenn sie trotzdem die Gelegenheit haben, uns Blockierer überholen zu können.
Nach „Millau“ kommt der Ort „St. Georges de Luzencon“ an der D 999, der sich hoch oben an die Steilwände anschmiegt und sich unten im Tal fortsetzt. Mein Gott, wer hier Fußball spielen will, muss wirklich Nerven haben oder einen Ball mit Rückholfeder besitzen. Kurz vor unserem Zielort fahren wir noch durch das Dorf „St. Rome de Cernon“, wo ganze große Schafherden auf den steinigen, kargen Almen stehen und wo das niedrig wachsende Magergras kaum noch Nahrung gibt. Dann aber machen wir unseren Antrittsbesuch im schönen „St. Affrique.“ Die hübsche Stadt im Gebirge zeigt sich sonnig, fast schon stickig und der Verkehr nimmt gewaltig zu, je näher wir dem „Centre Ville“ kommen.
Dann aber die „Erlösung.“ Ein weißes unübersehbares Schild weist auf einen städtischen Campingplatz hin. „Municipal“ steht darunter. Na, das wär’s doch! Weiter zu fahren verbietet sich schon alleine wegen der fast 30 Grad und dann suchten wir ja auch einen preiswerten Platz in der unmittelbaren Nähe einer Stadt, wo wir die nächsten drei Tage bleiben wollen. Wir melden uns ordnungsgemäß an und zahlen pro Übernachtung lediglich 13 Euro. 2,90 Euro allein kostet der Stromanschluss am Tag. Atomstrom? Der Campingplatz liegt in direkter Nachbarschaft einer Sportanlage etwa 10 Minuten Fußmarsch vom Stadtkern entfernt und gibt etwa 40 Campern die Möglichkeit zu übernachten. Eingegrenzt von einem Metallzaun, hinter dem ein Bach oder auch kleiner Fluss fließt, teilen wir uns den Platz mit überwiegend französischen Campern und einigen wenigen Niederländern. Ein alter, hoher Baumbestand aus Pappeln und Rotbuchen bringt genügend Schatten, so dass wir nicht befürchten müssen, in der Gluthitze des südfranzösischen Sommers zu zerlaufen. Unsere unmittelbaren Nachbarn links und rechts sind sehr verständige, intelligente und wissbegierige Leute, denen die Abwechslung unserer Ankunft sehr recht erscheint. Wir können uns sogar in Englisch oder sogar in unserer Muttersprache unterhalten. So kann man ausführlicher erzählen und erfährt auch mal etwas mehr vom Leben der anderen.
Nachdem wir eingecheckt sind und uns einen Kaffee und ein paar Biskuits zu Leibe geführt haben, hängen wir unser gutes, altes Dieselross ab und fahren in die nahe Stadt zum Shoppen und um Lebensmittel einzuholen. Wir flanieren die Haupteinkaufsstraße entlang. Es scheint mehr Cafes und Bars und Restaurants zu geben als zum Beispiel Parkplätze. Die Innenstadt ist brechend voll Menschen, die fast alle sonnengeschützt und gebräunt auf schönen, geschmiedeten Bistrostühlen vor den Cafes sitzen und es sich gut gehen lassen. Wir kaufen uns ein leckeres Eis und schauen uns um. Überall Geschäftchen, Obsthändler, Tabakläden und Souvenirläden. In Frankreich, das fiel uns auf, gibt es Zigaretten weder in Supermärkten oder Tankstellen oder Restaurants oder etwa in Automaten, sondern dafür müssen alle, die diesem seltenen Laster verfallen sind, die Öffnungszeiten der Tabakläden beachten, wo man in der Regel auch einen Capuccino trinken oder sich Zeitschriften kaufen kann. (“Bureau de Tabac“.) Und die Öffnungszeiten sind meist von 10-13 und von 16-19 Uhr. Sachen gibt’s! ich habe mal einem jungen Franzosen erzählt, dass man in Deutschland überall Zigaretten kaufen kann und er hat nur ungläubig dreingeschaut und mir diese Story nicht abgenommen.
Als wir von unserem Bummel zurück zum Trecker kommen, den wir vor einem Schreibwarengeschäft geparkt haben, sehen wir schon von weitem die Hobbyfotografen, die um unseren Ackerschlepper herumstehen und Aufnahmen mit Handys, Foto- und Filmkameras machen. Aber dann, nachdem sich ein netter Franzose erbarmt hat und mich aus der Parklücke herausfahren lässt, geht’s erst richtig los. Von allen Seiten werden wir fotografiert. Teils aus den langsam im „Stop and Go-Verkehr“ dahin schleichenden Autos, teils von den Flanierenden auf den Trottoirs, teils von den Besuchern der Cafes. Wir verursachen einen gewaltigen Stau, als ein Autofahrer, der vor uns inmitten des Gewühles fährt einfach stehen bleibt, aussteigt und uns mit seiner Kamera „traktiert.“ Doch die Schlange hinter uns bleibt gelassener als wir denken und als uns ein paar PKWS überholen können, werden ebenfalls die Handys gezückt. Und dabei sind wir heute nur solo unterwegs, ohne „Tante Paula.“ Na, das wird am Montagmorgen aber einen Aufstand geben, wenn wir genau durch diese ständig verstopften Straßen weiter nach Süden, Richtung Lezignan fahren. Das sind noch 135 km.
So ein Tag wie heute mit ein paar hundert Meter gemächlichem Gehen in der City ist für mich immer wieder, so schön so ein Bummel auch ist, eine regelrechte Tortour. Die zwischen Niere und Blase seit Anfang Juli liegende Kunststoff -Uretherschiene plagt mich bei jedem Schritt auf unebenem Pflaster. Es sind ziehende und brennende Schmerzen, da sich der Körper ständig gegen das körperfremde Teil zu wehren versucht.
Und dann auch noch der Drang nach unten. Ich gehe wie ein Körperbehinderter und beiße mir oft auf die Zunge, um nicht laut aufstöhnen zu müssen. Es wäre jetzt an der Zeit, die Schiene entfernen und den Nierenstein zertrümmern zu lassen. Doch eine deutsche Klinik ist weit. Auch beim Fahren merke ich immer öfter und anhaltender, dass ich mich noch keinesfalls in der Rekonvaleszenzphase befinde, sondern lange davor. Nun genug gejammert.
Mit vollen Tragetaschen kommen wir zurück an unseren Bauwagen, der schön im Schatten der dichtbelaubten Bäume geparkt ist. Heute gibt es nach längerer Zeit mal wieder Koteletts mit Bohnensalat und Salzkartoffeln. Morgen haben wir Appetit auf „Grüne Soße.“ Und am Sonntag gibt es irgendwelche Reste. Unser Vorratsschrank ist gut bestückt und zwei Wassereimer Getränke haben wir auch gebunkert. Wir haben uns 2 Büchsen Bier besorgt und schlürfen es eiskalt mit Wonne. Das Flaschenbier in Frankreich wird überwiegend in einer Einheit von 0,25 Litern verkauft. Es gibt in den meisten Supermärkten nur Gebinde mit 24 Flaschen in Pappe eingebunden. Der Abend verläuft ohne weitere Ereignisse und wir sitzen noch bis zum Einbruch der Dunkelheit in unseren Campingstühlen bei 25 Grad und entspannen