Polen – 23.06.11

23. Juni

Die Sonne lacht mit uns schon um sechs Uhr früh um die Wette. Allein deswegen, weil wir nur 113 km zu fahren haben. Ein Kinderspiel für erprobte Traktoristen. Es dürften schon über 6500 km geworden sein, die wir seit unserem 35. Hochzeitstag am 3. April gefahren sind. Wir sind zum „fahrenden Volk“ geworden. „Szluchow“ war ein angenehmer Ort für uns. Eine mittelgroße Stadt in Westpommern mit einem schönen, alten Stadtkern. Überhaupt gefallen uns die Städtchen in Polen sehr gut. Es herrscht buntes Treiben auf den Straßen, es gibt übermäßig viele kleine und kleinste Geschäfte und die Leute sind nett. Wir haben noch keinen brummigen Menschen in Polen erlebt.

Ein "Tante-Emma-Laden"
Ein "Tante-Emma-Laden"
Dieses reizende, kleine Mädchen hat uns unzählige Handküsse zugeworfen
Dieses reizende, kleine Mädchen hat uns unzählige Handküsse zugeworfen

Wir kaufen zu gerne in den gut sortierten „Tante-Emma-Läden“ ein. Erst als wir unterwegs Getränke einkaufen wollen, fällt uns auf, dass alle Läden geschlossen haben. In jedem Ort ist so eine Art Altar aufgebaut, wo immer ein großer, bunter Teppich davor liegt. Wir sehen viele Prozessionen. Ministranten, Priester und das ganze Kirchenvolk im Sonntagsstaat sind unterwegs. Heute ist „Fronleichnam.“ Gerade für die Polen ein besonders wichtiger Feiertag.

Auch torkeln uns manchmal ein paar Männer über die Dorfstraßen entgegen und bemerken uns nicht einmal, obwohl der Zetor ein lautes Lied singt. Ob sie einen zu tiefen Schluck vom Messwein genommen haben? Sie können es ja wieder beim nächsten Kirchgang beichten. In Polen geht jeder gläubige Katholik bis zu dreimal täglich in die Kirche zum Beten und Lobpreisen. Wenn ich Katholik wäre, würde ich mir in eine Ecke der Kirche eine Matratze hinlegen, damit ich bis zum nächsten Kirchgang nicht wieder hin laufen müsste.

Wir haben beste Laune und tuckern und tuckern. Bei einem Halt in einem Dorf bemerke ich, dass die meisten Dachrinnen, bzw. die Fallrohre auf den Gehsteig münden. Kanalisation sehe ich keine. Doch Gummistiefel werden überall zu sehr zivilen Preisen angeboten. Es ist auch in Polen an alles gedacht. An den Straßenrändern hinter den Orten sehen wir immer mehr Ministände, wo die Leute frische Pfifferlinge, Honig, hübsche, bunte Bauernblumensträuße und Früchte feilbieten. Die Üppigkeit der Agrarflora lässt die Seele baumeln. Die Ursprünglichkeit des Landes kommt besonders hier in dieser Gegend besonders zur Geltung. Eine Märchenwelt!

 

Einfahrt in ein altes, westpommersches Dorf mit einem hübschen Kopfsteinpflaster
Kopfsteinpflaster, genau das richtige für ungefederte Traktoren

Einzig das nervige Gehupe der Fernfahrer, „Robur-und Tatra-LKWS,“ die uns überholen und uns auch manchmal einen Vogel zeigen, obwohl ich kräftig „Gummi“ gebe und auf dem Seitenstreifen fahre, passt nicht zum Sonnenschein. Polen sind mitunter nervöse Fahrer, stellen wir fest. Vielleicht haben sie Angst zu spät zum nächsten Kirchgang zu kommen. Ich habe nichts zu beichten und hocke bequem auf meinem gefederten Ackerschleppersitz.

Einfahrt in ein altes, westpommersches Dorf mit einem hübschen Kopfsteinpflaster.  Irgendwann scheinen wir uns dann doch verfahren zu haben, denn wir kommen an ein Dorf mit dem Namen „Kosowo.“ Sind wir so weit nach Süden abgedriftet? Spaß beiseite.

Der Holunder trägt seinen Duft bis in unsere feuchtheiße Kabine und macht uns Appetit auf etwas Gutes zum späten Mittag. Wir wollen just bei einem Restaurant anhalten, da kommt ein Anruf von Norbert, dem „Mister Rimaster“ aus Czaplinek, der Geschäftsführer mehrerer Firmen in Europa und im außereuropäischen Ausland ist (Seine Firmenhomepage: www.rimaster.com). Ihm wurde per Telefon berichtet, dass der „Zigeunerwagen“ im Anrollen ist. Und das 23 km vor der Stadt. Jemand hatte ihm Bescheid gegeben. Norbert will uns entgegen fahren. So weit vor uns. Nun ja, er wird nicht gerade mit einem Schlepper kommen. Schon 15 Minuten später ein Aufleuchten der Scheinwerfer und ein Winken. Wir stehen irgendwo in einer Allee und begrüßen uns herzlich. Barbara steigt zu Norbert in seinen Volvo-Jeep.

Sein halbwüchsiger Sohn Maczek, ein smarter Boy mit dichten, schwarzen Haaren ist seinem Vater auf seinem Motorrad gefolgt und so fahren beide im sicher für sie sehr ungewohnten Schneckentempo vor mir her. Es muss gerade für den Jungen schon eine besondere Mutprobe gewesen sein, einmal so langsam zu fahren. Oder war es für ihn Entspannung pur?

Vor Norberts imposanten Haus in einer Seitenstraße in Czaplinek angekommen, schaffe ich es nicht, den Hänger rückwärts in gerader Linie vor seinem Anwesen zu parken. Ein befreundeter junger Mann wird angerufen, der täglich mit solchen Hängern zu tun hat der auch umgehend kommt und den Hänger vor die Schnauze nimmt und nach wenigen Minuten präzise parkt. Dieses Rangieren kann ich immer noch nicht gut und bin Norbert und dem Knaben dankbar für die Hilfe. Dann lernen wir Norberts Ehefrau kennen. Eine junge, schlanke, sehr gut aussehende, gepflegte Frau mit dunklen Haaren. Sie heißt Patrycia und hat für uns alle ein leckeres Mittagessen zubereitet. Auch Tochter Magda sitzt mit am Tisch. Ich werde sie später beschreiben, wenn ich sie besser einschätzen kann.

Es gibt…für Polen ungewöhnlich unter anderem…Grüne Soße mit runden Kartoffeln. Das ist ja ein richtiges Festmahl! Einen jungen Rassehund gibt es auch, der auf den Namen „Telefon“ hört und heulen kann wie ein Wolf. Eine sehr schön gestromte Norweger Waldkatze mit dem ungewöhnlichen Namen “Nissan” gehört auch noch zur Familie. Ich werde sie in den nächsten Tagen “Suzuki” nennen. Das ist mir geläufiger.

Der Garten, die Außenanlage mit ihren 3000 Quadratmetern ist eine wahre architektonische Augenweide. Norbert hat dieses ältere Haus und das Drumherum umgebaut wie ein Villengrundstück. Die Inneneinrichtung ist schlicht gesagt edel, aber unheimlich gemütlich. Hier ist Stil drin!

Unser toller Stellplatz bei "Czaplinek" auf dem Campingplatz "Drawtur"
Unser toller Stellplatz bei "Czaplinek" auf dem Campingplatz "Drawtur"
Besuch von Familie "Heib"
Besuch von Familie "Heib"

Nach einer Weile fährt uns Norbert zu einem der vielen Campingplätze um Czaplinek. Wir finden einen guten Platz am Campingplatz „Drawtur“ (www.drawtur.com). Der “Drawsko-See” ist einer von den Größten in der westpommerschen Seenplatte mit 83 Metern Tiefe und 76 km Küstenlinie. 14 Inseln befinden sich im See. Der Fluss “Drawa” ist ganz in der Nähe.

Papst Johannes Paul II. früher der Priester Karol Józef Wojtyla ist oft mit seinem Paddelboot diesen Fluss gefahren. Vor Jahren wurde ihm zu Ehren ein großes Denkmal errichtet, was zum Wasser zeigt.

Zurück zum Campingplatz: Hier bleiben keine Wünsche offen. Alles ist sehr gut organisiert und der Besitzer sagt mir, er wäre fast immer zu 100% ausgebucht. Kein Wunder! Wir finden eine sehr gepflegte Anlage vor, eine gut besetzte Rezeption, ein Restaurant  und einen der größten und tiefsten Seen in Polen mit einem Bootshafen direkt in Sichtweite. Die Sanitäranlage wird Tag und Nacht mit angenehmer Musik beschallt. So nimmt man weniger die Schwingungen wahr, die vom Nebenhocker zu einem herüber dringen. Das habe ich auch noch nicht erlebt. Eine Musiktoilette! Norbert übersetzt unser Wünsche präzise in flüssigem Polnisch.

Er spricht auch noch 4 weitere Sprachen perfekt, wie z.B. Türkisch, Spanisch, Französisch   und Englisch.

Ein sehr intelligenter Mensch mit sehr wachen Augen und einem klaren, weltoffenen  Unternehmerverstand. Er hat das Herz am rechten Fleck sowie seine junge, agile, polnische Frau auch. Sie passen gut zusammen. Wir wollen bis Montag hier bleiben. Norbert hat uns in einer Traktorreparaturwerkstatt angemeldet. Er ist mit den Besitzern befreundet. Der junge Chef war bis vor kurzem Europameister im Surven und die Stadt Czaplinek wirbt noch immer mit seinem Konterfei auf vielen Großreklamewänden vor und in der Stadt.

Norbert Heibs hübsche, sympathische Ehefrau
Norbert Heibs hübsche, sympathische Ehefrau

Zurück zum Zetor, unserem treuen Weggefährten: Die Vorderreifen sind angelatscht, ein Öl-und Filterwechsel steht an, die Hupe und der Zigarettenanzünder gehen nicht mehr. Der Einfülldeckel für das Motoröl fehlt seit Wärmland/Schweden und der Tankdeckel ist auch nur ein Notbehelf seit Schweden. Die Schmiernippel sind trocken am Trecker und Bauwagen und die Radlager am Hänger brauchen neues Fett. Dann müsste er mal generell inspiziert werden, um eventuell weitere Schäden aufzudecken. Das Material hat Federn gelassen nach fast drei Monaten Höllenfahrt. Hier in Czaplinek soll alles wieder in Ordnung kommen. Patrycia nehme ich als Sozia mit über die 2 km zum Platz. Sie hat Spaß daran, wie uns die Menschen zuwinken und das Gerüttele steckt sie locker weg, obwohl sie sehr wenig Sitzfleisch hat. Wir wollen den Stellplatz gleich am ersten Abend für alle Tage zahlen. Norbert aber sagt, wir bräuchten hier nichts zahlen. Hä? Der Platzbesitzer möchte es so. Punkt!

Dann eine ungewöhnliche Nachricht. Morgen gegen Mittag will das polnische Fernsehen zu uns kommen. „Gawex“ heißt der Sender ( www.gawex.pl )und ist eine private Fernsehanstalt aus „Szczecinek.“ Am Dienstag, dem 28. Juni soll gesendet werden. Die Fernsehleute aber fahren von der Stadt „Torun“ an, etwa 70 km von hier entfernt. Na da sind vielleicht Überraschungen!! Wir sitzen im Bauwagen, es donnert und regnet stark und unterhalten uns.

Norbert stammt aus demselben Ort wie meine Frau, dem ehemaligen Wallfahrtsort Gottsbüren im schönen Reinhardswald und sie haben sich viel zu erzählen. Sie hat ihn das letzte Mal als Kind gesehen vor etwa 40 Jahren und ist erstaunt, wie groß er geworden ist (!) Dann übergeben wir ihm unser Gastgeschenk. Es sind fast alle Jahrgänge der „Gottsbürener Schriftenreihe“, die uns der Heimatverein für ihn mit einem Anschreiben mitgegeben hat. Norbert freut sich unheimlich darüber und wischt sich über die Augen. Und dann gibt’s noch ein paar Fläschchen „Gottsbürener Treckerschnaps“ mit lieben Grüßen aus der alten Heimat.

Seit über 15 Jahren lebt Norbert in Polen und hat sich hier mit Beharrlichkeit, Mut und Fleiß, wahrlich ein großes Reich aufgebaut. Er ist ein sehr anerkannter Mann und der größte Arbeitgeber hier in Westpommern in Czaplinek. Er hat es als innovativen Arbeitgeber geschafft, hier vor Ort die Arbeitslosigkeit von früher um die 30%  auf 4% zu senken. Über 1100 Mitarbeiter beschäftigt er insgesamt und sponsert zig Organisationen und Privatpersonen, um Starthilfe für eine eigene Existenz zu geben. Alle sind ihm sehr, sehr dankbar dafür, auch die Gemeinde, aber er will keinen großen Dank und agiert lieber im Hintergrund. Ein sogenannter “Albert Schweizer” aus Czaplinek.

Wir trinken im Bauwagen einen Wodka zusammen und planen den nächsten Tag. Der polnische Wodka ist der Beste, den man trinken kann.  Weich und rund. Überhaupt sind die alkoholischen und auch die “bleifreien” Getränke, die die Polen herstellen, Weltklasse und werden in Europa leider viel zu wenig beachtet.

Das Wetter bleibt schlecht, es stürmt und gießt immerfort. Unsere Stimmung aber ist bestens. Wir fühlen uns wieder einmal wie zu Hause dank der vielen freundlichen Menschen um uns herum und es fehlt uns an nichts. Heimweh habe ich noch kein einziges Mal verspürt.

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