Schweden – 08.05.11

8. Mai

Rauf auf die Piste! Die E 45 hat selten etwas Bleibendes zu bieten. Links und rechts entweder sumpfige Moorlandschaften mit abgestorbenen und wie Ertrinkende halb versunkene Minibirken oder lichte niedrige Kiefernhaine. Buschwerk trifft man äußerst selten an. Überall Schneeschmelze. Die Landschaft wird weiter und der Blick kann auch mal dreihundert Meter schweifen, ohne dass dichter Wald die Umsicht versperrt. Im Sommer werden sich die Blaubeerenpflücker über die Ergiebigkeit der überall wachsenden grünen Bodendecker freuen. Und es gibt heute auch wieder einen See am anderen. Eisblau schimmern sie in der Mittagssonne. Da, wo manchmal am Rand eines Gewässers schon eine kleine Fläche aufgetaut ist, tummeln sich Wildenten und seltener, schon mal ein Schwanenpärchen im nassen Element. Brrr!  

Ansiedlungen gibt es auf den ersten 55 Kilometern so gut wie nicht. Und der Verkehr…Ich habe mal auf die Uhr geschaut. Im Durchschnitt begegnet uns alle elf Minuten ein Fahrzeug. Dieses Aufkommen würde ich mir für Zuhause wünschen. Es geht über die Nester Muorjevaara, Moskojärvi, Skaulo, Svappavaara und Pillijärvi in die größere Ansiedlung Vittangi, denn wir müssen zwar nicht zwingend tanken, aber es ist besser, der Tank ist voll. Nach dem Tanken starte ich, d.h. ich versuche es mit wachsender Anspannung. Der Anlasser gibt nur ein Ticken von sich. Sch…..! Wir kommen nicht weg von hier. Andere wollen auch Diesel tanken, doch wir nehmen fast die ganze Fläche vor der Zapfsäule ein. Und schon, als Barbara gerade lautstark ausrasten will, eilt ein älterer Mann mit mittlerem Wuchs hilfreich herbei. Auf dem Kopf trägt er eine Art Hut oder Haube oder auch Kunstwerk. Es zeichnet ihn als einen Samen aus, der seine bunt bestickte Kopfbedeckung sicher mit Stolz trägt. Er hat einen Hammer dabei und klopft immer fester auf den Anlasser, derweil ich Startversuche mache. Es rührt sich nichts. Ich fluche in einer Tour. Der Same gibt sich nicht geschlagen. Er sagt mir, er wolle einen Autoelektriker anrufen. Es gäbe nur einen hier im Ort. Der kommt auch nach zehn Minuten angefahren.

Ich sehe einen circa achzigjährigen, gebeugten Mann aus dem ungepflegten Kleinwagen steigen und auf mich zuwanken. Seine Gesichtsfalten sind sicher viel älter als der Mann selbst. Er spricht wohl nur „läppisch.“ Ich benutze die Taubstummensprache. Er versteht. Ich drücke den Starterknopf und er nickt. Schnell hat er ein Starterkabel von seinem Wagen am Trecker angeschlossen. Der Motor läuft. Er hält die Hand auf und murmelt etwas von „Hundert.“ Wir geben ihm die umgerechnet 10 Euro gern. Dann gesellen sich zwei junge Männer dazu. Sie geben sich als Asylanten aus Mazedonien aus und sprechen etwas deutsch. Ich versuche mich in ein paar Redewendungen so gut ich kann auf jugoslawisch. Sie freuen sich über meine Radebrechen und alle winken uns als wir weiterfahren können lange nach.

Nun geht es wieder fast 50 Kilometer weiter nach Norden, Richtung finnische Grenze. Die können wir aber heute nicht erreichen. Zu weit für einen Fahrtag. 

Immer häufiger liegen Rentierkadaver im Straßengraben. Kein schöner Anblick. Die geraden Straßen verführen zum Schnellfahren, obwohl die Höchstgeschwindigkeit fast überall auf 70 oder 90 km/h begrenzt ist. Auch lebenden Rentieren begegnen wir am Nachmittag wieder. Wo wird unser nächster Stellplatz sein für die Nacht? Endlich im Örtchen „Nedre Soppero“ ein weißes Hinweisschild zu einem Campingplatz. Auch wenn er noch geschlossen haben sollte, nichts wie hin. Besser als im Wald zu übernachten. Der nächste offene Campingplatz laut ADAC-Führer liegt noch 145 km entfernt in Finnland. Da haben wir uns aber hier einen Weg ausgesucht. Schlagloch folgt Bodenwelle und Frostaufriss folgt überraschend auftauchenden „Teerhügeln.“ Da wussten die Schweden wohl nicht wohin mit den Teerresten und haben sie einfach in Abständen mitten auf der Fahrspur als „Asphalthütchen“ hinterlassen. Schweden eben! Autoscooter fahren ist dagegen ein Kinderspiel. Zwei Kilometer hinter dem letzten Haus ein einsamer Friedhof, umgeben von Moor, kleinen Wasserflächen und absterbenden Bäumen. Auch kein Vogel singt mehr. Die dunklen, tief hängenden Wolken werfen ein düsteres Bild auf das Gräberfeld. Auch kein Auto begegnet uns mehr. Stille ringsum. Das wäre die geeignete Kulisse für einen Gruselfilm. Barbara wird kräftig durchgerüttelt. Nach einer halben Stunde sehr anstrengender Fahrt im dritten Gang ein Dörfchen.

Barbara fragt im „Tante Emma-Laden“ nach dem Weg zum Campingplatz. Dabei fällt mir auf, dass der Blinker nicht mehr tickt. Als Barbara wieder aus dem Laden zurück kommt, bestätigt sie meine geheime Befürchtung. Die Frontscheinwerfer glimmen nur noch. Kein Blinker mehr, keine Anzeige der Armaturen. Nothing! Die Lichtmaschine. Schreck! Aus dem Dorf führt kein Weg weiter. Sackgasse! 

So, als wenn man in unserer Heimat das Hugenottendorf „Kelze“ anfährt. Nur sind es hier von der Hauptstrasse 15 Kilometer „Schotterpiste.“ Wir fragen nochmals einen Passanten, der mit dicker Mütze und Kappe und Schal vor der kleinen Dorfkirche steht. „Da ganz oben ist ein Platz vielleicht. Da wo das Restaurant steht!“ deutet er an. Jetzt ist die weiterführende Straße nur noch als dauerlöchriges Fragment zu spüren. Eine Firma oder ist es ein Steinmetzbetrieb oder ein Umschlagplatz für Schneefahrzeuge entpuppt sich tatsächlich als Gaststätte oben am Berg. Hier gibt es auch, oh Wunder mitten im Wald am Dorfrand die einzige Zweigstelle Schwedens einer Universität in London, wo die Studenten 12 Semester Edelsteinkunde studieren können. Die Chefin der Restaurants kommt heraus und weist uns einen Platz zu. Es gibt hier eigentlich nur Hütten zum Übernachten und knapp 200 Quadratmeter aufgeweichten Bodens als Stellplatz. Die Schneehaufen hier im Gebirge, 70 Kilometer vor der finnischen Grenze sind unübersehbar. Wir stehen mit dem Bauwagen direkt neben den grauen Restwintergebilden. Nun gut, für 15 Euro Übernachtungsgebühr soll man nicht meckern.

Nach dem Abstellen des Motors drücke ich wieder auf den Starterknopf. Es bleibt so totenstill wie vorhin am Friedhof. Meine Armbanduhr dröhnt. Eine junge Frau aus dem Dorf wird gerufen. Sie hat in Deutschland eine Zeit gelebt und will für uns einen Autoelektriker für Morgen früh rufen. Ich bin skeptisch, da ich beim letzten Tankstopp schon gehört habe, dass die Marke Zetor in Lappland noch seltener vertreten ist als im Süden Schwedens. 

Barbara kocht vor Wut, dass ich mit dem Trecker in dieses Einödsackgassenendzieldorf gefahren bin und auch vor Enttäuschung wegen der neuerlichen Panne. Auch ich bin deprimiert. Diesmal richtig. Wir bedecken uns bis zum Eintritt der Nacht, die bei Anbruch der Dämmerung erst gegen Null Uhr dreißig beginnt mit beredtem Schweigen. Unsere Stimmung ist unbeschreibbar. Daher lasse ich die Abendbeschreibung mit Worten besser heute aus. Abenteuerreise? Ja!!! Aber so?

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