Deutschland – 01. Oktober

Ausschlafen ist heute noch nicht angesagt. Wir werden einfach zu der Zeit wach, die wir gewohnt sind, aufzustehen. Sieben Uhr. Draußen ist es nebelig und das Flüsschen „Lauter“ hinter uns schickt uns üble Abwassergerüche bis in den heißen Morgentee. Irgendwo muss in der Kanalisation in der unmittelbaren Nähe ein wüstes Leck sein. Das Wasser dagegen ist glasklar und die kleinen Forellen sehen gesund aus. Trotzdem schmeckt uns das Frühstück, wenn die Bauwagentür geschlossen bleibt. Dann wollen wir zu unserem ersten Bummel in die Stadtmitte starten. Zwei Männer kommen auf uns zu. Der Eine spricht mich an und stellt mir die Frage, ob ich ihn denn noch kenne. Ich sehe ratlos aus, doch irgendwie kommt mir das Gesicht bekannt vor.

Gerhard und Manfred...beide habe ich seit etwa 40 Jahren nicht mehr gesehen
Gerhard und Manfred...beide habe ich seit etwa 40 Jahren nicht mehr gesehen

Er gibt sich zu erkennen. Ein früherer Schulkollege, mit dem ich mal ein paar Jahre auf die höhere Schule ging (immer im 3. oder 4. Stockwerk gelegen) gibt sich als der gute alte Gerhard B. zu erkennen. Welche Freude! Der Andere ist der Sohn eines früheren Arbeitskollegen meines Vaters, Manfred D. und in meinem Alter, den ich auch nicht sofort wiedererkannt habe. Über 45 Jahre habe ich beide nicht gesehen. Das gibt erst mal einen Schnack im Wagen und viele Erinnerungen werden ausgetauscht. Dann pilgern wir durch die einmalig schöne Altstadt von Lauterbach. Wir kommen am Touristenbüro vorbei und die Tür steht offen. Wir schauen auf einen Gruß hinein.

Das schmucke Touristenbüro in Lauterbachs Stadtmitte
Das schmucke Touristenbüro in Lauterbachs Stadtmitte

Die herzliche Frau Fischer, die heute Dienst hat, freut sich offenbar, uns zu sehen. Vor über einem halben Jahr haben wir an dieser Stelle die große Schautafel mit dem Lauterbacher Strolch, dem Wahrzeichen der Stadt abgeholt und später am Bauwagen montiert. Wir überbringen die Grüße der Touristikverantwortlichen aus der Partnerstadt Lauterbachs, Lezignan in Südfrankreich, die wir im August aufgesucht haben. Wir können versichern, dass der „Lauterbacher Strolch“, den meine Frau immer zärtlich „unser lieber Hansel“ genannt hat unversehrt geblieben ist und sich nach wie vor bester Gesundheit erfreut. Viele tausend Menschen in 12 Ländern haben ihn bewundert und ich habe unzählige Male von der Entstehungsgeschichte der Legende berichten müssen. Natürlich immer frei interpretiert in Sprachen, denen ich nicht immer mächtig war. So wurde ich einmal in Litauen so verstanden, dass der halbnackte Knabe der Schirmherr einer Gegend war, der in grauer Vorzeit die Alibifunktion hatte, den Bürgern weiszumachen, dass es in dieser Stadt sehr bürgerlich zuginge und käufliche Frauen nicht zu haben waren. Ach, was habe ich manchmal einen Spaß mit den Verständigungen gehabt. Und die interessierten Zeitgenossen, die um Erklärung nachsuchten, natürlich auch. Wenn ich mal gar nicht weiterkam, habe ich immer auf die Homepage der Stadt Lauterbach hingewiesen. Zum Mittagessen sind wir natürlich bei meinen Eltern eingeladen. Es gibt das, wonach wir schon in mehreren Ländern vergeblich gesucht hatten: Kartoffelpuffer! Und meine Mutter macht sich tatsächlich die Mühe mit ihren 80 Jahren, die göttliche Mahlzeit aus frischen, rohen Kartoffeln zuzubereiten. Nach 12 Kartoffelpuffern muss ich passen. Es reicht kalorienmäßig für mindestens drei Tage.

Annemie und Karlheinz, Onkel und Tante schauen auch mal rein
Annemie und Karlheinz, Onkel und Tante schauen auch mal rein

Der „Lauterbacher Anzeiger“ hat einen Bericht mit Foto über unsere Nieder- oder besser gesagt Ankunft geschrieben. Sehr gut aufgesetzt, Frau Albach! Wir kutschieren zum Bauwagen zurück und laden unsere Einkäufe um. Und schon kommt wieder Besuch. Onkel Karlheinz und Tante Annemie stehen vor der Tür und wir freuen uns sehr, die beiden „Alten“ rüstig wie immer wiederzusehen. Am Nachmittag kommen Freunde meiner Eltern, Irmgard und Herbert, auf ein Glas Apfelschorle vorbei und wir führen ein langes und nettes Gespräch. Auch sie haben unsere Reise via Internet verfolgt und mit Spannung, wie sie betonen, die Berichte regelrecht verschlungen. Immer wieder schon seit acht Uhr morgens bleiben Autos neben unserem bunten Gespann stehen und wir sehen, wenn wir Zuhause sind, die Kameras blitzen. Es hat sich wohl herumgesprochen, dass die „verrückten Ochsens“ im Land sind und manch einer will sich sicher selbst ein Bild von uns machen. Das geht so bis in den Abend hinein.

Auch Herbert und Irmgard wollen wissen, wie's bei "Globetrotters" aussieht
Auch Herbert und Irmgard wollen wissen, wie's bei "Globetrotters" aussieht

Wir hätten für jedes Foto fünf Euro nehmen sollen. Dann hätten wir siebenmal volltanken können. Spaß beiseite. Natürlich freuen wir uns über die Resonanz der Lauterbacher und über die Besucherfrequenz auf dem Stellplatz „an der Bleiche.“ Manche Besucher kennen uns schon besser als wir uns selber kennen. Das erstaunt uns nicht, da sie immer auf dem Laufenden waren durch meine Tagesberichte im Internet. Den Abend verbringen wir bei meinen Eltern, die ganz „happy“ sind, uns munter und halbwegs gesund wiederzusehen. So viel, wie sie bei jeder Mahlzeit auftischen, können wir uns in einer Woche nicht einverleiben. Sie meinen es halt gut und uns platzt bald der Magen. Satt und zufrieden (besonders satt) mit dem zweiten Tag unseres Aufenthaltes in meiner Geburtsstadt legen wir uns gegen 24 Uhr schlafen, nachdem ich meinen Tagesbericht vom Vortag geschrieben und online gestellt habe. Das Leben kann so schön sein, wenn man nicht darauf wartet. Ich will nie wieder auf etwas warten.

 

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