Diese Nacht war eine sehr unschläfrige und unruhige. Nicht dass nun jemand denkt, wir seien seit dem 3. April in den letzten Flitterwochen. Nein! Auch in den letzten Zügen liegen wir noch nicht. Das war auch nicht der Grund unserer Wachphasen. Wir haben lediglich verstärktes Reisefieber und freuen uns halt nur, meine Eltern, Verwandte und Schulkameraden nach langer Zeit wiederzusehen. Aber es sind immerhin noch ganze 83 Kilometer bis in die Kreisstadt am Fuße des Vogelsberges, wo ich einst geboren bin. Daher stehen wir schon um halb Sechs auf, um bis spätestens 12 Uhr da zu sein. Unterwegs telefonieren wir mit meiner Mutter, die uns auf dem öffentlichen Stellplatz „auf der Bleiche“ in Lauterbach empfangen will. Sie scheint auch aufgeregt zu sein. Kann ich verstehen. Wir sind es ja ebenso. Noch vor Sonnenaufgang fahren wir los. Es ist noch stockdunkel und unsere starken Scheinwerfer weisen uns den Weg zur Stadt hinunter. Alles ging heute sehr viel schneller als sonst nach dem Aufstehen. Das Waschen, das Zähneputzen, das Ankleiden und das Frühstücken. Und schon lassen wir Schöllkrippen hinter uns. Der morgendliche Berufsverkehr stört uns nicht. Wir lassen den Stau hinter uns! Viele Schulbusse sind unterwegs und ich fahre besonders vorsichtig, wenn Kinder an der Straße stehen. Einige winken uns fröhlich zu und schauen uns lange nach. Kind möchte man noch mal sein und das unbeschwerte Leben genießen. Manchmal fühle ich mich immer noch nicht erwachsen, wenn ich Streiche aushecke und mich köstlich dabei amüsiere, wenn mein Streich geglückt ist. So liebe ich das leben. Wir verlassen das Bundesland Bayern ohne Ausreisevisum und reisen wenig später nach Hessen ein. Da, wo wir hingehören. Da, wo unsere Wurzeln sind. Da, wo wir Zuhause sind. Die Dörfer, an denen wir im schönsten Sonnenschein vorbeirauschen haben auch hier im „Büdinger Wald“ oder im „Brachtal“ mitunter seltsame Namen.
Es begegnen uns Huckelheim, Linsengericht, die Barbarossastadt Gelnhausen, Lieblos, Hühnerhof, Spielberg, Eisenhammer, Birstein, Bös Gesäß und Mauswinkel. Barbara schreibt alles auf mein Zurufen hin fein säuberlich (oder eher doch sehr krakelig) auf einen Notizzettel, damit ich’s am Abend noch weiß. Mich wundert überhaupt, wie sie während der Fahrt etwas Lesbares schreiben kann. Wir halten nur einmal kurz an, um zu tanken. Unser zweites Frühstück verzehren wir ausnahmsweise mal während der Fahrt. Wir machen Tempo, sofern man das auf einer Treckerreise umsetzen kann. Mein Gasfuß ist heiß geworden. Der Hänger rumpelt über die Straßen, als ob’s kein Morgen mehr gäbe. Ich bin schon sanfter gefahren. Nach knapp fünf Stunden ist Lauterbach in Sicht. Einen sehr schönen Blick hat man von Blitzenrod aus zur Stadt hinunter. Der alte Kirchturm der Stadtkirche grüßt die Neuankömmlinge mit dem Mittagsgeläut. Geschafft!
Wir sehen schon von Weitem meine Mutter auf dem Gehsteig stehen und uns zuwinken. Sie hält in den erhobenen Händen lachend einen Blumenstrauß, als wir auf den Stellplatz einbiegen, wo einmal im Jahr auch der große Lauterbacher Prämienmarkt abgehalten wird, das größte Volksfest der Region Vogelsberg. Wir fallen uns in die Arme. Schön! Das hat uns gefehlt! Der Stellplatz ist mit einigen LKWS von örtlichen Unternehmen zugeparkt und sehr, sehr staubig.
Doch wir finden ein Plätzchen fünf Meter nur von dem Flüsschen „Lauter“ entfernt. Meine Mutter hat uns von der Stadtverwaltung einen Schlüssel für das dortige Stromhäuschen besorgt, damit wir in den nächsten drei Tagen Energie im Bauwagen haben. Was uns sehr wundert ist, dass sie dafür 200 Euro Pfand hinterlegen musste. Das haben wir weder im Ausland, noch im Inland auf einem der vielen angefahrenen Stellplätze so erlebt. Wahrscheinlich hat die Lauterbacher Stadtverwaltung viel Humor und wollte nur einmal unsere langen und verblufften Gesichter sehen. Das ist ihnen hiermit vollends gelungen. Wasser können wir aus einem Hydranten neben dem Stromverteiler entnehmen, tun es aber nicht, da wir das Trinkwasser in kanistern von meinen Eltern holen. Eine Toilette gibt es nicht. Wie gut, dass wir eine Chemietoilette dabei haben und Eltern, bzw. Schwiegereltern, die keine zwei Kilometer von uns entfernt wohnen. Schon bald nach unserer Ankunft radelt eine junge Frau auf uns zu und steigt aus dem Damensattel. Sie stellt sich als freie Mitarbeiterin des „Lauterbacher Anzeiger“ und mit dem Namen Christine Albach vor und hat ein paar Fragen zu unserer Reise. Sie ist für die Jugendseite zuständig und möchte einen kleinen Artikel über uns Alte schreiben. Sie bleibt nicht sehr lange und sagt, am Sonntag käme ein Redakteur der Zeitung zu uns wegen eines längeren Interviews.
Wir würden telefonisch noch Bescheid bekommen. Dann düst sie wieder mit frischem Input davon. Danach begrüßt uns ein freundlicher Mann, der sich als Erwin Peichl aus dem Nachbarort Landenhausen vorstellt und der mir schon einmal unterwegs per Mail mitgeteilt hat, dass er fast täglich Gast in unserem Blog ist und ihn unsere Reise sehr interessiert. Nun lernt er uns persönlich kennen und hat uns auch eine gute Flasche spanischen Rotwein mitgebracht. (Als Trost, weil wir Spanien nicht erreicht haben, sagt er) Das finden wir beide riesig nett. Fast zeitgleich erscheint mein Onkel Jakob vor der Bauwagentür. Ich hätte ihn fast nicht erkannt, so lange haben wir uns nicht gesehen. Auch er ist ein treuer Fan unserer Homepage geworden. Zum Mittagessen sind wir bei meinen Eltern eingeladen. Wir sitzen nach über einem halben Jahr mal wieder an einem runden Tisch und genießen das Verwöhntwerden. Unser Bauwagentisch ist ja rechteckig. Gegen 17 Uhr besuchen uns vier meiner ehemaligen Schulkollegen.
Drei „Mädchen“ und ein „strammer Junge.“ Wir haben uns viel zu erzählen und freuen uns, uns wiederzusehen. Auch mein Vater und meine Mutter haben sich dazu gesellt und ihre Hauswirtsleute, die uns 10 frische Eier von eigenen Hühnern mitbringen. Alle scheinen das Sit-in zu genießen. Wir servieren ein Blech Salzekuchen, eine Art Speck- oder Zwiebelkuchen, eine Spezialität aus meiner Geburtsstadt und trinken dazu einen schön gekühlten Sekt, den die Clique mitgebracht hat. Es wird eine gemütliche Runde. Auf dem Weg mit dem Trecker durch die Stadt am Abend winken uns einige Bürger freundlich zu. Kann sein, dass sie uns durch den Blog kennen. Oder sie winken, weil so ein bunt mit Autoaufklebern bepflasteter Oldtimertraktor nur selten durch die Stadt tuckert. Der Tag klingt mit dem Abendessen bei meinen Eltern aus. Ich sitze noch bis nach Ein Uhr in der Nacht am PC, um die Tagesereignisse schriftlich Revue passieren zu lassen. Morgen wollen wir nach langer Zeit mal wieder ausschlafen. Die letzten fünf Tage waren doch sehr anstrengend und wir haben in keiner Nacht mehr als sechs Stunden geschlafen.
Hallo, liebe Zetoristen! Wie wir erfahren haben, seid ihr am vorigen Montag in atemberaubendem Tempo durch den Schwarzwald-baar-Kreis gerast. Wir hätten euch gerne getroffen, aber wie es so ist im Leben, es kommt immer etwas anders. Auf jeden Fall sind wir froh, daß ihr eure Heimat gesund und wohlbehalten erreicht habt. Viele amüsante und informative Stunden hatten wir durch eure Reiselust, die ich absolut verteidige. Wenn eines Tages das gebundene Buch erscheint, werden wir es käuflich erwerben.
Auf alle Fälle, bleibt gesund und munter, dieses und noch viel mehr wünschen Gabi und Frank Melzer aus Villingen-Schwenningen