Deutschland – 16. September

Ich bin Ausländer! Zumindest in Baden-Württemberg. Wie ich schon einmal schrieb, ein entfremdeter Fremder unter Fremden in der Fremde. Trotzdem fühle ich mich recht wohl in diesem südlichen Bundesland der Republik und komme inzwischen auch mit der Sprache leidlich zurecht. Englisch oder „Skandinavisch“ muss ich nicht reden und mein Nordhessisch wird von jedem toleriert und … verstanden. Bei der Morgenvisite durch die Stationsärztin ist immer noch nicht klar, ob es heute klappt mit der Nierensteinsanierung. Die Techniker wären noch am Basteln, höre ich. Ich darf also vorerst frühstücken. Zum Mittag die schlechte Nachricht. Es wird auch heute nichts mit dem Eingriff. Erst am Montag bin ich Opfer. Ich bin keineswegs enttäuscht, war ich doch schon auf diese Botschaft gefasst. Ich trage es mit nach außen gespielter Fassung.

So sieht mein Speiseplan für das Abendbrot z.B. aus
So sieht mein Speiseplan für das Abendbrot z.B. aus

Meine Aufmerksamkeit richtet sich auf den jungen Deutsch- Kasachen, der frühmorgens als neues Mitglied unserer Leidensrunde vorgestellt wird. Er hat zwei Stunden später eine kleine OP und bleibt bis zum späten Nachmittag unserer Stube fern.

Ich schaue auf unserer Homepage nach, wie viel Klicks wir inzwischen bekommen haben. Knapp 148000 sind es. Rekord! Unsere Tochter hat uns schon vor Wochen 200000 vorausorakelt. So viel wird es zwar nicht werden, doch die jetzige Anzahl ist auch schon sehr beachtlich. Wie gerne würde ich jetzt von neuen aufregenden Reiseerlebnissen berichten. Aber das Schicksal meint es anders mit mir. Ich habe mächtig Glück gehabt in meinem Krankheitsverlauf und mit der Uni-Klinik und den hervorragenden diagnostizierenden Fachärzten hier in Freiburg. Heute bin ich schon 10 Tage im Krankenhaus und es geht stramm auf den Herbst zu. Die Blätter fallen auch so langsam in der wärmsten Stadt Deutschlands von den Zweigen und an Regentagen, die es hier auch gibt kann man den nahenden Herbst besonders gut riechen. Direkt vor dem Hauseingang steht ein imposanter Wildapfelbaum, dessen zentimeterkleinen Früchte sehr sauer und sehr herb schmecken.

Am Nachmittag schneidet mir Barbara den Oberlippenbart und die Koteletten. Jetzt sehe ich wieder manierlich aus und nicht mehr wie Rasputins Urenkel. Wir drehen heute eine große Runde im Klinikpark. Die „Kunst im Park“, die hier geboten wird ist beeindruckend. Meterhohe Skulpturen und Figuren sind auf dem Rasen aufgebaut. Was sie darstellen sollen, kann nur der Künstler selbst erklären. Mir als Kunstbanause bleibt die Bedeutung der skurrilen Werke leider verborgen. Doch die Patina ist sehr aussagekräftig und zeugt von einer langen Standdauer. Wenn ich hier etwas ausstellen dürfte, würde ich einen 10 Meter langen Blasenspülkatheter aus Chirurgenstahl aufstellen und einen mit badischen Rotwein gefüllten 100-Liter Urinauffangbeutel aus durchsichtigem Polyäthylenfolie. Doch mich fragt ja keiner. Nicht mal einen banalen Sandkasten mit Förmchen haben sie hier für den Kunstanfänger postiert.

Sinnvolle Hinweise
Sinnvolle Hinweise

Ich glaube ich muss der Klinikleitung mal einen diesbezüglichen Brief schreiben. Hatte ich schon einmal vor zig Jahren gemacht, als ich in der Kur war. Da sah ich doch tatsächlich im dortigen Kurmittelhaus ein „Traktat“ an einer Säule, was auf ein besonders reines Heilwasser hinwies. Da stand wörtlich zu lesen:“ Bei uns können Sie sogar das Badewasser trinken!“ Was habe ich damals unternommen? Auf meiner kleinen Reiseschreibmaschine schrieb ich dem Chefarzt über die Hauspost bierernst, dass ich seit zwei Tagen einen fürchterlichen Durchfall hätte, weil ich mein Badewasser verkostet habe und der Schaum nun unentwegt durch alle meine Körperöffnungen quillt und bat ihn um Rat. Was kam dabei heraus? Bei der nächsten Visite kam der Chefarzt mit Gefolge lachend zu mir ins Zimmer und meinte, er hätte sich köstlich über meinen Brief amüsiert. Ich hätte ihn an den jüdischen Schriftsteller E. Kishon erinnert und würde auf weitere Briefe von mir warten. Die bekam er dann auch prompt. Einmal schrieb ich ihm in einem meiner Folgebriefe, ich wäre ein ehrenhafter Bürger und aufmerksamer Kurgast und hätte Vertrauen in die Kurklinik. In meinem kleinen Bad war über den Haken für Waschlappen und Handtücher ein Schild aufgeklebt, worauf stand: “Bitte achten Sie auf Ihre Teile!“ Nun schrieb ich dem Arzt, ich hätte die Nächte fast kein Auge zugemacht, da ich immer alle Gegenstände in meinem Zimmer im Visier gehabt hätte. „Und nun, sehr geehrter Herr Doktor fehlt mir doch tatsächlich ein hellbrauner, etwa 20 Jahre alter Frotteewaschlappen mit linksgewendeter Inside-Naht und Aufhängeöse aus leuchtend grauer Japanseide, den mir einst meine Mutter zur Konfirmation geschenkt hatte.“ „Wen“, so meine ernst gemeinte Frage, „kann ich nun in dieser prekären Situation verantwortlich machen?“ Und so weiter und so weiter. Ja, so „schlimm“ war ich mal in jungen Jahren und habe mir selbst so manches Vergnügen durch mein Schreiben bereitet. Aber hier will ich „brav“ sein. Ich kann die Ärzte doch nicht vergrätzen, bevor sie mich operieren. Danach…?

Am frühen Abend wird das Bett mit Inhalt wieder zu uns hereingeschoben und wir stellen fest, dass unser neuer Bettnachbar noch lebt. Er ist in Ordnung und wir können uns angeregt unterhalten. Der Abend bringt Regen und meiner Stimmung gleicht sich dem gleichmäßigen Dauergeriesel an. 

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