Wir trödeln. Es wird fast 10 Uhr, bevor wir starten. Nach längerer Zeit musste ich wieder einmal einen Liter Öl in den Zetormotor nachfüllen. Er ist trocken und dicht und wir haben stets ein gutes Gefühl, wenn wir an die Verlässlichkeit des 45 PS-Boliden denken. Wir haben uns vorgenommen, weil eben Sonntag ist, heute nur maximal 4 Stunden zu fahren. Doch es kommt wieder mal anders. „Saint Bartelmy“ ist touristisch überlaufen und man muss auf die Passanten achten, die unkontrolliert über die Fußgängertrempels marschieren. Wir haben einen langen Bremsweg und ich muss immer sehr vorausschauend fahren und reagieren.
Tanken müssen wir auch. Eine Supermarkttankstelle hat wie auch der Markt selber am Sonntagmorgen geöffnet. Doch unsere Karte frisst der Automat nicht. Ein junger Franzose bietet sich an, seine Karte hineinzuschieben, wenn wir ihm direkt nach dem Tanken Bargeld dafür geben. Super, diese Franzosen. Einfach super und so hilfsbereit. Das „Manöver“ klappt und wir sind des Dankes voll, denn esgingen 35 Liter in den kleinen Tank. Bei „Beaurepaire“ verlassen wir die gute Straße und geben unseren Navigeräten nach, die uns beide nach links zwingen. Da ist die Straße auch recht gut in der Beschaffenheit des Belages, aber es steigt wieder an. Nicht so stark, als dass Barbara wieder wie ein eingeschüchtertes, kleines Mädchen auf ihrem Kotflügelsitz hockt, aber es sind schon ein paar „Brocken“ dabei, die den vierten Gang erfordern. In „Saint-Jean de-Bournay“ wird’s wieder etwas flacher und da wir für die heutige „kurze“ Strecke keine Stullen geschmiert haben hoffen wir, nach den bisher gefahrenen 60 Kilometern einen Campingplatz zu finden, um den schönen Restsonntag im Liegestuhl verbringen zu können.
Es gibt zwar einen und sogar mit 4 Sternen, doch der ist, wie wir von Einheimischen erfahren schon lange Jahre geschlossen, obwohl an jeder Ecke noch ein Schild prunkvoll darauf hinweist. So ein Mist! Die fünfte Stunde ist herum. Wir halten an und verzehren vor lauter Hunger unsere Notration an Keksen, die seit Litauen im Metallkasten auf dem linken Kotflügel liegen. Unser Getränk für den geplanten kurzen Trip ist auch geleert und es wird heiß und heißer. Heute vor einem Monat am 28. Juli sind wir über die belgische Grenze nach Frankreich eingereist. So lange haben wir uns in noch keinem Land aufgehalten. Doch bereut haben wir in Frankreich noch keinen einzigen Tag. Wir befinden uns nun auf der Höhe von „La Rochele“ an der Atlantikküste oder von „Aosta“ in Italien. Die Millionenstadt „Lyon“ ist nicht mehr weit. Eine weitere Stunde vergeht und wir fahren jetzt schon sechs Stunden. Wir können nichts erzwingen. Manchmal sind die Campingplätze wie Perlen aneinander gereiht und dann wieder liegen mitunter 30 oder sogar 40 km dazwischen, bevor ein Platz in Sicht kommt.
Der Magen grummelt, die Zunge klebt am Gaumen, die französischen Sonntagsfahrer hupen, aber heute mal nicht aus Freundlichkeit und noch immer ist kein Ende der Fahrt in Sicht. Da, da vorne, in grüner Schrift mit einem stilisierten Ziegenkopf an einem Holzpfahl angepinnt ein kleiner Hinweis, worauf „Camping la chevre verte“ aufgemalt ist. 105 km sind es nun schon geworden, etwa 45 km mehr als wir am „Heiligen Sonntag“ fahren wollten. Wir folgen den Hinweisen, tuckern durch die Ansiedlung “Marlieu“, die zur Gemeinde „Bouvesse“ gehört und biegen rechts ein, wo die Straße sich sehr stark verengt und fahren eine kleine, bucklige Anhöhe hinauf. Wir stehen vor einem großen Bauernhof. Eher ein Gutshof. Es ist niemand da. Ein Gast sagt uns, wir könnten uns hinstellen, wo Platz ist. Die Patronin würde irgendwann auf uns zukommen. Gesagt, getan. Wir haben mal wieder einen Super Platz erwischt. Der etwa 40 Plätze umfassende ganz malerisch gelegene private Campingplatz befindet sich auf einem Plateau. Wenn wir auf der einen Seite aus dem Fenster schauen, ist in einer Entfernung von 20 Metern eine wunderschöne alte, begrünte Bruchsteinmauer zu sehen. Dahinter ein kleiner Weinberg und Weideland. Steht man direkt an der Mauer, schaut man in das wunderschöne Tal hinunter, das auf der einen Seite von steil aufragenden Felswänden eingebettet ist.
So ähnlich schaut es auch zeitweise im Weserbergland aus. Nur sind die Höhen hier anders. In der Mitte des Tales fließt die Rhone, einer der großen Ströme Frankreichs. Das weite Tal wird hier „Vallee Bleue“ , das „blaue Tal“ genannt. Ein wenig kann man das blaue Band des Flusses erkennen. Wendet man den Kopf in Richtung Südosten, blickt man auf die schneebedeckten Rhone-Alpen, die im Sonnenlicht glitzern. Eine fantastische Aussicht von hier oben. Und das alles gibt es umsonst. Man muss nur einen Blick für die Erhabenheit und Schönheit der Landschaft haben. Gedankt bekommt man es, indem man seine innere Ruhe wiederfindet. Die Bäuerin, die bald darauf zu uns kommt, ist eine sehr herzliche Frau, die etwas Deutsch spricht. So einen urigen Bauwagen mit einem Traktor davor hat sie auch noch nicht gesehen. Ihr Ehemann begrüßt uns ebenfalls wenig später. Ihr Platz nennt sich „La chevre verte.“ Zu Deutsch „Die grüne Ziege.“ Ich frage sie, warum „grün?“ „Ja, weil die Ziege, wenn sie Gras frisst einen grünen Bart hat!“ ist ihre plausible Antwort. Da es uns hier ausnahmslos besonders gut gefällt, wollen wir zwei Nächte bleiben. Zehn Meter hinter uns auf einer Koppel steht eine braune Eselin und lässt sich von uns die Ohren kraulen. Ihr Schrei weckt Tote auf, wenn sie nach Futter ruft. Schräg gegenüber befindet sich hinter einem verglasten Durchgang ein kleiner, aber sehr nett hergerichteter Swimmingpool, der ständig über eine Sandfilteranlage gereinigt wird.
Um den Pool herum wachsen Bananenstauden, cirka 6 Meter hoch. Direkt neben dem Sanitärgebäude stehen 43 weiße und zwei braune Milchziegen im Freilauf und meckern uns zu. Määääääh, määäääh! Im Stall dagegen zwei weiße Ziegenböcke mit mächtigem Gehörn. Und wieder etwas weiter suhlen sich zwei rundgefressene Hausschweine in der Nachmittagssonne. Auf einer Weide stehen 100 Meter weiter zwei braune Reitpferde und grasen friedlich. Eine Idylle!
Eine zutrauliche Hofhündin und zwei Hauskatzen laufen ebenfalls auf dem Bauernhof herum und einige Fasanen sehen wir auch weiter hinten, sowie etliche Ziertauben. Es ist einfach wunderschön hier und die Besitzerin freut es, dass wir noch einen Tag länger bleiben als ursprünglich geplant. Morgen will sie die Presse verständigen. Der Fernsehempfang gelingt auf Anhieb, da kein störendes Buschwerk in der unmittelbaren Nähe liegt und wir lassen den Abend zufrieden mit „Gott und der Welt“ langsam ausklingen. Mein letzter Gedanke vor dem Einschlafen ist wieder mal: „Schön ist die Welt!“