Litauen – 14-06-11

14. Juni

Wir sind noch am Frühstücken, da erscheint unser freundlicher Gastgeber mit einer Zweiliterflasche Traubenwein und einem großen Glas Honig in der Tür. Das hatten wir gestern bei ihm bestellt und er hat Wort gehalten. Der Abschied ist kurz, aber sehr herzlich und Vdadimirs schaut uns noch lange heftig winkend nach, bis wir im unendlichen Band der Schnellstraße seinen Blicken entschwinden. Diesen Platz können wir uneingeschränkt weiterempfehlen.

Eine halbe Stunde später sehen wir die litauische Grenze vor uns. Die vielen Haltespuren stammen noch aus der Zeit, wo die Grenze noch bewacht und kontrolliert und nicht so problemlos zu überqueren war wie heutzutage. Aber Grenzschützer sehen wir doch noch. Versteckt hinter einer Betonmauer und mit Ferngläsern bewaffnet schauen sie uns lange kritisch nach. Überhaupt, in Litauen begegnen uns sehr viel mehr Polizeiautos als in den Ländern zuvor. Wenn ich den Polizisten mal von meinem Treckersitz aus freundlich zuwinke, kommt zwar ein Grinsen auf die Lippen des jeweiligen Staatsschützers, aber eine Handbewegung gibt es nicht. Kein Wunder bei dem niedrigen Sold für litauische Polizisten. Da fehlen wohl ein paar litauische Lats im Monat, um die Oberarmmuskulatur zum Gruß erstarken zu lassen. 

Die E 67 ist scheinbar endlos und ...langweilig
Die E 67 ist scheinbar endlos und ...langweilig
Unser erstes Mittagessen in Litauen, besser kann es nicht schmecken
Unser erstes Mittagessen in Litauen, besser kann es nicht schmecken

Wir brauchen ab heute wieder ein anderes Geld. Barbara ist unsere Zahlmeisterin und verwaltet die Finanzen. An der ersten Tankstelle nach der Grenze gibt es ein kleines Häuschen aus Plastikwänden , wo „Mini-Bank“ drauf steht. Die einzige Angestellte nimmt keine Notiz von uns und telefoniert mit ihrem Handy seelenruhig weiter. Auch nach 5 Minuten hält sie das Handy immer noch ans Ohr.  Bedient werden wir nicht. Sie schaut uns nur gelangweilt zu, wie wir uns über sie unterhalten. Natürlich ganz leise. Wir ziehen für 100 Euro litauisches Geld aus dem Automaten in dem Plastikbankhaus und gehen nach gegenüber in einen Minishop, um uns eine gute Landkarte zu kaufen. Die Bedienung ist eigentlich keine. Sie erwidert unseren Gruß nicht und …telefoniert mit ihrem Mobil. Wir suchen uns selber die geeignete Karte heraus und nehmen auch noch Getränke mit. Sie tippt den Preis in einen Taschenrechner, zeigt uns darauf die Summe und schnippt mit den Fingern das Zeichen, jetzt zu zahlen. Sehr kundenfreundlich. Wir zahlen stillschweigend und gehen wieder zum Trecker zurück, der zwischen 25 Trucks in Längsrichtung geparkt ist. Als wir abfahren, steht die Verkäuferin vor der Tür ihres Ladens und telefoniert immer noch. Ein Superservice!

Dann tanken wir. Das Diesel kostet hier umgerechnet 1,45 Euro, viel teurer also als im Nachbarland Lettland. Auch die Getränke und alle anderen Waren sind teurer und trotzdem noch viel billiger als bei uns Zuhause. Vor uns türmen sich riesige, weiße Berge auf.  Schnee? Iwo! Es sind Aufschüttungen von Kali aus einem Bergwerk. So ähnlich wie in dem Dorf „Müs“ bei Fulda. Barbara hatte schon wieder leise geseufzt. Aber schneebedeckte Berge an der litauischen Grenze Mitte Juni? Umsonst gebibbert. 

Uns fällt auf, dass fast überall einzelne Kühe neben der Bundesstraße grasen. Die Wiesen stehen hoch. Wenn die auf die Straße laufen? Aber sie sind alle mit einer Kette angepflockt und grasen das Areal ab, in dem sie stehen dürfen. Auch sehr stämmige Kaltblutpferde sind auf den Wiesen angepflockt. Meist an der Fessel. Jedes für sich und hunderte Meter vom anderen entfernt.

Barbara befragt vergebens litauische Bauern nach dem nächsten Campingplatz
Barbara befragt vergebens litauische Bauern nach dem nächsten Campingplatz
Ein Ortseingangsschild im Süden Litauens
Ein Ortseingangsschild im Süden Litauens

Es ist wohl so, dass es sehr viele kleine Bauern gibt, die sich mehr Kühe und Pferde nicht leisten können. Da fällt mir spontan der profane Spottspruch ein, der da heißt: „Eine Kuh macht muh, viele Kühe machen Mühe !“ Hier fehlt einfach Geld. Wir sehen auch einen Bauern, der mit einem alten Zossen mit grauer Zottelmähne und einem noch älteren Heuwender mit erheblicher Mühe versucht, sein Heu zu wenden. Der Gaul hat wohl wenig Lust bei der Hitze Trab zu gehen. Keine Weidezäune versperren die Weitsicht. Auch die Hunde sind generell alle angeleint vor den Häusern der Bewohner. Nur Katzen genießen Freigang. 

Trotzdem gibt es wenig Abwechslung auf der weiteren Strecke. Die Längsrillen im Asphalt, die oft über 25 km Länge das Fahren sehr erschweren, lassen den Trecker hin und her schaukeln. Noch mehr schaukelt im Rückspiegel  unsere gute alte Tante Paula. Wenn es mal Starkregen gibt, könnte ich mir gut vorstellen, dass die Fahrspuren tief genug sind, um einen mittleren Hai darin schwimmen zu lassen. Na gut, ich übertreibe sicher ein wenig. Ein kleiner Hai wäre ehrlicher. Oder ein gerade geborener. Oder ein „Hai im Ei.“ 

Ich fahre sehr konzentriert, aber lustlos. Zu anstrengend, die Straße. Ganze Felder sind von der gefürchteten Herkulesstaude überwuchert. Eine gefährliche und giftige Pflanze, die aus dem Kaukasus zu uns gekommen ist und den Landwirten das Leben schwer macht.

Die einzeln stehenden bewohnten Häuschen links und rechts des Weges sehen halb verfallen und ungepflegt aus. Es sind Häuser, die die ungefähre Größe eines Gartenhauses haben und meist aus Holz bestehen. Oft aus grauem, sehr verwittertem Holz. Grelle Restfarbauftragungen an den Fassaden und Fensterrahmen, die abgeblättert sind, tragen keineswegs zu einem erbaulichen Anblick bei. Diese litauischen Kleinbauern sind sicher sehr arm. Aber sie haben ihre Gärtchen in Ordnung, das Gemüse, die Kartoffelreihen und die Obststräucher stehen gut in einer Reihe und auch die Blumenrabatten sind eine Augenweide. Immer sieht man jemanden auf dem Feld stehen und etwas in Ordnung bringen. Meist werden Kartoffeln angehäufelt. Auch alte Männer mit Sensen auf dem krummen Rücken schlurfen über die buckligen Feldwege. Was für ein Leben! Uns fällt auch ins Auge, dass überall auf den Minihöfen haufenweise patinabelegte, uralte  Ackergeräte, einzelne abgefahrene Reifen, abgerissene Metallzäune und alte aufgesetzte Ziegelsteine rings um die Katen herum liegen. Doch jeder Mensch hat seine eigene Ordnung und man muss es nur akzeptieren. 

Nach strammer Fahrt und drei Sunden Rumrutschen auf den kochenden Traktorsitzen werden wir von unserem Leiden durch ein Restaurant erlöst, das gepflegt ausschaut und eben am Straßenrand liegt. Wir kehren ein, lassen uns die Speisekarte bringen und bestellen ein sehr leckeres Mittagessen und ein Getränk. Das ganze kostet uns zusammen nur 9 Euro. Es gesellt sich ein unterhaltsames schwedisches Ehepaar zu uns, mit denen wir uns in „Schwedenglisch“ austauschen. Sie kommen aus Östergötland und kennen natürlich auch den Ort „Rimforsa“, in dem wir so einige Erlebnisse der „dritten Art“ hatten, aber sehr gerne an diese Tage und an all die Menschen, die wir dort im April kennenlernen durften, zurückdenken.

Die tausend LKWS stehlen den wenigen PKWS auf der vollen Schnellstraße den Fahrraum. Die Fahrer fahren sehr aggressiv und versuchen mich an die Seite zu drängen. Aber ich fahre schon auf der Seite, so weit rechts wie es geht. Weitere Seiten gibt es nicht. Einige Situationen sind brandgefährlich, da die Trucker auch zu kurz vor uns einscheren und dann auch noch das Nebelhorn ertönen lassen, damit wir Armen so richtig zusammenfahren. Wir fahren an „Pasvalys“ und „Panevezys“ vorbei zum kleinen Ort „Ramygala.“ Auf der bisherigen Strecke gab es leider keine Hinweise auf einen Campingplatz. 

Die bezaubernde "Deimante" ist unser litauischer Sonnenschein
Die bezaubernde "Deimante" ist unser litauischer Sonnenschein
Wunderschöne Dorfkirchen begegnen uns überall
Wunderschöne Dorfkirchen begegnen uns überall

Viele andere Touristen, die wir unterwegs trafen, sagten uns schon, in Litauen wären die zwei Handvoll Campingplätze lediglich an der Küste konzentriert. Wie wahr! Und wie hoffnungslos! Einen jungen Mann, der etwas Englisch spricht, befragen wir nach einer Möglichkeit, in der Umgebung übernachten zu können. Er nennt uns ein Restaurant 12 km weiter an der Schnellstraße, die dort wohl ein Auge zudrücken würden, wenn wir nett nachfragten und die Polizei ließe das Übernachten sicher auch durchgehen, da wir ja ein so exklusives Gespann dabei hätten. Normal geht das nicht so einfach im Land hier. Ein Lichtblick in der Affenhitze!

Bei der Ansiedlung „Lancunava“ mitten auf weiter Flur und 20 Meter neben der lauten Straße erblicken wir ein sehr nobel aussehendes Restaurant im mexikanischen Stil. Das ganze Gelände drum herum ist äußerst gepflegt. Hier sollen wir die Nacht verbringen? Auf dem Parkplatz vor dem Lokal? Wir verstecken unsere verschwitzten Gesichter hinter einem gewinnenden Lächeln und treten ein. Wohlige Kühle empfängt uns. Ein bezauberndes junges Mädchen mit einem langen geblümten Rock, hübschen schwarzen Sandalen und einem weißen T-Shirt steht hinter der Theke und schaut mit ihren leuchtenden, schwarzen Augen auf uns Neuankömmlinge. Wir fragen ganz vorsichtig nach, ob wir eine klitzekleine Chance hätten, hier draußen für eine Nacht stehen zu bleiben. Wir hätten leider keinen anderen Platz zum Übernachten gefunden und wären schon acht Stunden gefahren. In gutem Englisch und mit einem sehr offenen und einnehmenden Gesichtsausdruck bedeutet sie uns lächelnd, dass sie erst den Manager des Lokals anrufen müsse, um nachzufragen, ob das so geht. In unserem Beisein hören wir, dass es in Ordnung sei, wenn wir nur eine warme Mahlzeit einnehmen und Morgen früh ein Frühstück verzehren. Alles andere wäre frei. Eine Dusche gäbe es leider nicht und Strom auch nicht, aber die Toilette wäre bis 22 Uhr begehbar und am nächsten Tag wieder ab etwa 9 Uhr.

Na, das ist ein Angebot! Kochen wollten wir eh heute nicht und das Brot ist uns auch ausgegangen. Das passt! Wir stellen unsere Fuhre ganz an den Rand des Parkplatzes neben zwei ausgewachsene Birken und gehen zu Tisch. Feurige Salsamusik empfängt uns in der fast leeren Gaststätte. Zwei Bedienungen haben Leerlauf und sitzen in einer Ecke und unterhalten sich wortreich. Die Dritte löst ein Kreuzworträtsel und schaut nur kurz auf.

Nur unsere feurige „Empfangsdame“, sie trägt den wohlklingenden Vornamen „Deimante“, was übersetzt Diamant bedeutet, hat Augen und Ohren für unsere kleinen Bedürfnisse. Die Speisekarte ist viele Seiten lang und in Litauischer Sprache abgefasst. Ich gehe nach dem kuriosesten nicht entzifferbaren Text und Barbara folgt mir. Wir haben etwas bestellt, was das Teuerste auf der Karte ist und wissen nicht, was uns da aufgetischt wird. Auch eine neue Erfahrung. Abenteuerurlaub? Ja! Zehn Minuten später wird aufgetafelt.

Verkäuferin in einem "Tante Emma-Laden in einem litauischen Dörflein
Verkäuferin in einem "Tante Emma-Laden in einem litauischen Dörflein
Am liebsten hätten wir das Mädchen adoptiert
Am liebsten hätten wir das Mädchen adoptiert

Deimante stellt uns die wohlgefüllten Teller mit dem dampfenden Inhalt mit einem angedeuteten Knicks auf den rustikalen Tisch. Die Tischdeko ist auch professionell arrangiert. Was haben wir uns da bloß ausgesucht? Genau das Richtige! Kasseler Rippchen mit Sauerkraut, runde Kartoffeln und einen leckeren Salatteller. Volltreffer! Dazu lassen wir uns einen Wein aus der Region servieren. Ich einen Trockenen und Barbara eine Halbsüßen. Es bleibt nicht bei einem Glas und Deimante hält uns mit ihrem jugendlichen Charme auf den Stühlen. Sie geht nach unserem Üppigen Abendmahl kurz mit hinaus, um sich Tante Paula von außen und innen anzusehen. Sie ist hin und weg und schüttelt nur den Kopf. Dieses Mädchen würden wir sofort adoptieren, wenn das so einfach wäre. So sehr gefällt sie uns. Ich drücke ihr unser Gästebuch in die Hand und bitte sie, etwas Nettes hinein zu schreiben und das Buch uns Morgen wieder mitzubringen. Das verspricht sie gerne.

Gegen 22 Uhr verlöscht das Licht im Restaurant und alle vier Bedienungen fahren in einem Auto nach Hause. Ein Restaurantdiener bringt einen scharfen Schäferhund an und postiert ihn mittels Langlaufleine in die Nähe des Haupteingangs und sperrt die Eisenschranke, die zur Einfahrt führt zu. Danach fährt er auf einem klapprigen Fahrrad mit einem Fuder Heu auf dem Gepäckträger davon. Nun sind wir eingesperrt, bzw. ausgesperrt und legen uns satt und zufrieden in unser Himmelbett. Unsere erste Nacht in Litauen.

Lange und verzweifelt nach einer Bleibe gesucht und hier in diesem schönen, gepflegten Umfeld gefunden. Das nennt man Glück.

 

 

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